Legendäre FCB-Geschichte: Wie ein Freundschaftsspiel in Peru fast die Länderspielkarriere von Gerd Müller beendete

Wie sich die Zeiten ändern: Seit 2011 reisen die Bayern jedes Jahr Anfang Januar zur Vorbereitung auf die Rückrunde ins Trainingslager nach Katar. Zu Beckenbauers und Müllers Zeiten jedoch musste die Mannschaft in der Winterpause jedes Jahr eine Menge an Freundschaftsspielen bestreiten, um die damals leeren Kassen des heutigen Rekordmeisters aufzufüllen. Die Südamerika-Tour 1970/71 stellte diesbezüglich einen besonderen Höhepunkt dar, welcher beinahe fatale Folgen für ganz Fußball-Deutschland gehabt hätte.

Vom 30. Dezember 1970 bis zum 14. Januar 1971 musste der damals wesentlich kleinere Profikader des FC Bayern zu insgesamt sechs Freundschaftsspielen in Argentinien (gegen die dortige Nationalmannschaft), Peru, Kolumbien und Mexico antreten. Dass derartige Freundschaftsspiele in südlichen Ländern, auch in Europa, viel mehr als bei uns in Deutschland auch Prestigeduelle sind, wissen die Bayern mittlerweile seit vielen Jahrzehnten. Es geht eigentlich immer temperamentvoll und hitzig zu – auf den Zuschauerrängen, aber auch auf dem Fußballplatz.

Dabei hatte das zweite Spiel dieser Südamerika-(Tor)T(o)ur am 6. Januar 1971 in Lima gegen Universitario zusätzlich noch besondere Vorzeichen, an welche sich die etwas älteren Fußballfans vielleicht noch erinnern können: Bei der WM in Mexiko besiegte Deutschland im Spiel um den Gruppensieg am 10. Juni 1970 Peru mit 3:1 – Gerd Müller „erschoss“ dabei die Südamerikaner mit einem lupenreinen Hattrick in der 1. Halbzeit quasi im Alleingang.

Tore WM 1970 Deutschland – Peru 3:1

Ob diese Niederlage den aus Peru stammenden Schiedsrichter Arturo Yamasaki dazu bewegt hat, die deutsche Elf im „Jahrhundertspiel“ gegen Italien im WM-Halbfinale (3:4 n.V.) derart zu „verpfeifen“, wie es selten in einem wichtigen Spiel der Fußballgeschichte vorkam, bleibt offen. Die Kritik aus Deutschland an Yamasaki war jedenfalls gewaltig.

Was ein halbes Jahr später bei jenem Spiel Universitario Lima gegen Bayern am 6. Januar 1971 tatsächlich auf dem Feld passierte, bleibt das Geheimnis der Beteiligten und Augenzeugen – und natürlich hatte auch damals jeder seine eigene Perspektive bzw. auch „Vereinsbrille“.

Tatsache dürfte aber wohl sein, dass bei einem extrem hitzigen Spiel Gerd Müller und Charly Mrosko auf Bayernseite von Schiedsrichter Lubo aus Peru vom Platz gestellt worden sind, was von den Verantwortlichen des FCB lange bestritten worden war. Hintergrund der Posse: Je nach Lust und Laune konnte der DFB damals wohl auch Sperren für Pflichtspiele nach Feldverweisen in Freundschaftsspielen aussprechen.

Gerd Müller wurde in Lima wegen einer angeblichen Tätlichkeit des Feldes verwiesen. Alle Berichte erwähnen, dass er bei seiner Aktion einen Ellbogencheck eines Universitario-Spielers gegen Rainer Zobel „gerächt“ haben soll – bei seiner eigenen Aktion gehen die Meinungen allerdings weit auseinander: „Schubser“ oder „Schlag“. Auffallend ist die extreme Polemik und Parteilichkeit der damaligen Presse, die sich wohl schon vor einem halben Jahrhundert in „Bayernhasser“ und (allerdings weniger) „Bayernfans“ aufteilte. Denn keiner der zum Teil scharf kritisierenden Journalisten war in Lima selbst anwesend.

Es folgte damals eine über viermonatige Posse, die sich vor allem um Señor Lubo drehte. Dieser wurde vom DFB mehrmals zu Verhandlungsterminen in dieser Angelegenheit eingeladen, hatte aber offensichtlich überhaupt keine Lust, diesen Einladungen zu folgen. Wie die DFB-Gerichtsbarkeit letztendlich zum harten Urteil von acht Wochen Sperre für Gerd Müller und drei Wochen für Mrosko kam, bleibt in allen Berichten unerwähnt. Der Zeitpunkt war zudem brutal: Es war der 24. Mai 1971 – die letzten beiden entscheidenden Meisterschaftsspiele und das Pokalendspiel am 19. Juni standen noch aus.

Die Meisterschaft wurde am letzten Spieltag beim 0:2 in Duisburg verloren, nachdem man mit einem Tor Vorsprung auf Gladbach in dieses finale Spiel gegangen war.

Für das Pokalendspiel gegen den 1. FC Köln wollten die Bayern für Gerd Müller aber unbedingt noch die Spielberechtigung erreichen und legten ein „Gnadengesuch“ ein.  Der „Bomber der Nation“ selbst fuhr harte Geschütze auf und drohte mit einem Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft, für welche seine Tore immer wichtiger wurden. Dieses Druckmittel kochte den vorher so harten DFB weich: Müllers Sperre endete einen Tag vor dem DFB-Pokalfinale in Stuttgart gegen den 1. FC Köln, welches die Bayern auch ohne ein Müller-Tor mit 2:1 n.V. gewannen. Die FCB-Torschützen waren damals Franz Beckenbauer und Edgar Schneider.

Ob Gerd Müller bei einer fortbestehenden Sperre tatsächlich seine sagenhafte Länderspielkarriere (68 Tore in 62 Spielen) bereits 1971 beendet hätte, bleibt zu bezweifeln. Ganz auszuschließen ist es jedoch nicht: Denn nach dem WM-Triumph 1974 beendete er 28-jährig seine Nationalmannschaftskarriere, entnervt vom antiquierten Deutschen Fußballverband. Ob Fußball-Deutschland ohne seinen größten Torjäger aller Zeiten die Europameisterschaft 1972 und die Weltmeisterschaft 1974 hätte bejubeln können, muss jedenfalls sehr stark bezweifelt werden.

Insgesamt eine unglaubliche Geschichte.

In einem Pflichtspiel wurde der eigentlich ruhige und besonnene Gerd Müller übrigens nur ein einziges Mal vom Platz gestellt: Am 7. Dezember 1968 nach einer Tätlichkeit an einer späteren FCB-Legende, die damals noch bei Hannover 96 kickte: Jupp Heynckes! Auch 1968 wurde der Bomber für satte acht Wochen gesperrt, die in der Meisterschaft souverän führenden Bayern kamen stark ins Straucheln, feierten am Saisonende jedoch trotzdem die erste Bundesliga-Meisterschaft und das erste Double der Vereinsgeschichte – und Gerd Müller wurde trotz langer Sperre mit 30 Toren Torschützenkönig!

PS: Herzlichen Dank, Toby!

Veröffentlicht von fcbayerntotal

Admin und Autor von FC Bayern Total

4 Kommentare zu „Legendäre FCB-Geschichte: Wie ein Freundschaftsspiel in Peru fast die Länderspielkarriere von Gerd Müller beendete

  1. „Legendär“ ist für so etwas eine Untertreibung!
    1000 Dank dafür!

    Wäre der damals tatsächlich zurückgetreten, dann wäre ich wahrscheinlich heute entweder Gladbach- oder Rugbyfan:

    Im Rheinland, wo ich zu der Zeit lebte und in der Grundschule war, kriegte man von Bayern München (und deren Spielern) damals nicht so viel mit, ausgenommen die Heldentaten mit der Nationalmannschaft.
    Aber das andauernde Toreschiessen (von Müller), -vorbereiten (von Beckenbauer) und -verhindern (von Schwarzenbeck und Maier) war so geil, dass es anders kam…

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