Das Südkurvenbladdl zum 5:0-Kantersieg gegen Schalke 04

Am heutigen Samstag wurde auch im heimischen Stadion die Winterpause offiziell für beendet erklärt. Der eher ungeliebte 18:30 Termin gab uns dabei die Gelegenheit, vor dem Spiel nochmal in den Wirtshäusern unserer Stadt vorbeizuschauen und bei ein paar Halben entspannt in den Spieltag zu starten.

Nächste Anlaufstelle war natürlich der Südkurvenplatz, wo heute auch der freie Verkauf für die 120-Jahre-Feier im Löwenbräukeller startete. Da war man im Organisatorenkreis selbst ein wenig überrascht, mit wieviel Vorfreude die Fanszene dieser Veranstaltung anscheinend entgegen schaut. Denn was da bereits am ersten Termin an Eintrittskarten verkauft worden ist, lässt darauf hoffen, dass wir beim Red Bull Spiel ein Sold Out vermelden dürfen.

Ebenso ausverkauft war heute das Stadion und in der Südkurve merkte man ganz gewaltig, dass diesmal auch wenige Jahreskarten verfielen. So eng war es in der Bundesliga schon länger nicht mehr und noch bevor der Schiedsrichter die Mannschaften aus den Kabinen bat, entbrannte auch schon das erste Pöbelduell mit dem ebenfalls wieder prallgefüllten Gästeblock.

Der königsblaue Anhang verstummte allerdings mit fortschreitender Spieldauer zunehmend. Das ist jetzt angesichts des Ergebnisses sicher keine Schande, sondern eher ziemlich normal. Damit hatten die Schalker aber erstmals seit Jahren bei uns eben keinen Bombenauftritt und schafften es diesmal nicht, den ganzen Block mit einer Scheißegalstimmung zu mobilisieren. Parat waren sie jedoch auf jeden Fall als es in der ersten Halbzeit zwei Situationen gab, in denen der Videobeweis herangezogen wurde. Obwohl sie in diesem Fall die Profiteure waren, beteiligten sich die Knappen lautstark an den „Scheiß DFB“-Wechselgesängen. Die allgemeinen Interessen aller Stadiongänger stehen eben auch bei der sicher zur Genüge vorhandenen gegenseitigen Abneigung an erster Stelle.

Und es gibt wohl kaum ein besseres Beispiel als diesen Samstag um zu verdeutlichen, warum der Videobeweis das Fußballerlebnis im Stadion so fundamental kaputt macht. Ging es beim ersten aberkannten Tor noch relativ schnell, bemerkte sicher ein guter Teil der Stadionbesucher beim zweiten irregulären Treffer (wobei das im wahrsten Sinne des Wortes eine Millimeter-Entscheidung war) wahrscheinlich erstmal gar nicht, dass der Treffer überprüft wurde und freute sich weiter. Erst mit dem ausbleibenden Anstoß wurde es dann für alle klar. Als Thomas Müller dann direkt vor der Halbzeit das zweite bzw. ja eigentlich vierte Tor erzielte, war der Jubel nur noch sehr verhalten und der Blick ging bei vielen erstmal in Richtung Schiedsrichter, obwohl es sich ja offensichtlich keinesfalls um eine strittige oder knappe Situation gehandelt hat. Sorry, das nimmt einfach Spaß raus auch wenn es in der einen oder anderen Situation vielleicht gerechter sein mag.

Gleichzeitig soll der Videobeweis nicht als Entschuldigung dienen, weshalb die Südkurve heute trotz der spielerischen Glanzleistung und Traumtoren wie dem von Leon Goretzka zum 3:0 eher nicht so ganz aus dem Quark kam. Da ging’s bei schlechteren Ergebnissen schon besser ab in dieser Saison. Aber gut, nach der Winterpause braucht‘s vielleicht ein wenig bis der Motor wieder ganz rund läuft. 

Ein paar Schrecksekunden hatten wir in der Kurve ja heute schon vor Beginn des Spiels, als es bei unserer Choreo ein paar Probleme mit dem Konterfei von Hugo Railing gab. Wie jedes Jahr gedachten wir zum Erinnerungstag im Deutschen Fußball einem von den Nationalsozialisten verfolgten und in diesem Fall leider auch ermordeten Bayern-Mitglied. Railing war nicht nur seit 1914 Mitglied beim FC Bayern, er sorgte auch dafür, dass der Verein weiter regen Zulauf bekam. So schnürte nicht nur sein Sohn die Fußballschuhe für die Schülermannschaft, auch immer mehr Spieler aus der Firmenmannschaft der Textildruckerei Bach&Hahn, die Railing gemeinsam mit seinem Bruder leitete, entscheiden sich für eine Vereinsmitgliedschaft bei den Roten. 1934 wurde Railing mit nicht einmal 50 Jahren in den Ältestenrat des Vereins berufen. In den nächsten Jahren konnte Railing sich aber nicht wie von ihm gewünscht im Verein einbringen. Er erfuhr aus erster Hand, was Herrschaft bedeutet, die auf Ausgrenzung und Diskriminierung von Minderheiten und Andersdenkenden beruht. 1938 enteigneten die deutschen Behörden die Brüder Siegfried und Hugo Railling. Hugo wurde festgenommen. Seine Familie wurde getrennt beziehungsweise schaffte es das Ehepaar Railing noch, ihrem Sohn Heinz Fritz und ihrer Tochter Margot die Flucht ins Ausland zu ermöglichen. Die Eheleute selbst ereilte dasselbe Schicksal wie viele andere kurz zuvor noch fest in die deutsche Gesellschaft integrierte Bürger, deren Welt innerhalb weniger Jahre komplett aus den Angeln gehoben wurde. 1942 wurden sie nach Polen deportiert, wo beide Partner schließlich von ihren Landsleuten getötet wurden. 

Die Familie Railing ist nur ein Beispiel, das uns daran erinnern sollte, dass sich auch eine scheinbar normale, friedliche Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit in ein mörderisches Umfeld transformieren kann, in dem Einzelne oder eben auch ganze Bevölkerungsgruppen aufgrund zugeschriebener Eigenschaften nicht mehr sicher und schon gar nicht mehr gut leben können. Der von Deutschland während der Jahre 1933 bis 1945 ausgehende Terror ist dafür wahrscheinlich das eindrücklichste und fürchterlichste Beispiel. Wir brauchen aber nicht glauben, dass nicht ähnliche (Denk-)Strukturen wieder entstehen können oder sogar einfach fortbestanden sind. Sicher nicht immer zwingend mit ebenso unvorstellbar fürchterlichen Ergebnissen, aber zumindest in einer Form, die das Leben von Leuten wesentlich unangenehmer und angsterfüllter macht, als es sein müsste.


Anm. Redaktion: Der ursprüngliche Südkurvenbladdl-Text umfasst noch einen weiteren Absatz. Mit der Genehmigung des Autoren wird dieser jedoch hier (noch) nicht wiedergegeben.


Veröffentlicht von gastautorfcbtotal

Gastautoren von FC Bayern Total

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