BVB – FCB – Meisterschafts-Vorentscheidung am 28. Spieltag?

Wenn heute Abend beim Duell der Dauerrivalen des letzten Vierteljahrhunderts Borussia Dortmund den FC Bayern am „3. Geisterspieltag der Bundesligageschichte“ empfängt, dann geht es um nicht weniger als die Vorentscheidung im Meisterschaftskampf. Gewinnen die Bayern, bauen sie ihren Vorsprung 6 Spieltage vor dem Saisonende auf 7 Punkte auf den Tabellenzweiten aus und werden sich diesen wohl nicht mehr nehmen lassen. Sollten jedoch die Borussen das heutige Spiel für sich entscheiden, wird es wohl eine ähnlich spannende Meisterschaftsentscheidung wie in der vergangenen Saison geben, als der FCB erst am letzten Spieltag als Titelverteidiger feststand.

Beim Spitzenspiel des 28. Bundesligaspieltags treffen nicht nur die beiden durch die aktuelle Tabelle ausgewiesenen Spitzenteams aufeinander, es treten auch die beiden mit Abstand besten Mannschaften der Rückrunde an. „Corona-Pause-übergreifend“ haben beide Teams die letzten sechs Bundesligapartien für sich entschieden.

Beim ersten Saison-Aufeinandertreffen im November 2019 war die Ausgangslage noch eine ganz andere. Beide Teams kriselten bereits früh in der Saison ganz erheblich und der FC Bayern und Niko Kovac zogen nach der deftigen 1:5-Klatsche in Frankfurt am Wochenende zuvor die Konsequenzen und trennten sich einvernehmlich.  Unter dem „Interimscoach“ Hansi Flick verprügelten die Bayern dann einmal mehr in einem Bundesliga-Heimspiel die Borussia mit 4:0 und ließen so die damals scheinbar eingedämmte Krise in Dortmund wieder aufflammen.

Gemeinsame Historie

Seit der FC Bayern im Juni 1965 in die Bundesliga aufgestiegen war, hatte der Rekordmeister immer periodisch Rivalen, die auf Augenhöhe mit den Münchnern um die Meisterschaften kämpften – Borussia Mönchengladbach, der HSV, Kaiserslautern, Werder Bremen seien hier vor allem zu nennen. Aber noch nie gab es einen Verein, der solange mit den Bayern um die Vorherrschaft im deutschen Fußball kämpfte wie der BVB. Neu im Duell mit dem stärksten Rivalen in der Bundesliga ist, dass dieses nun seit Jahren auch, wenn nicht sogar vor allem, im DFB-Pokal ausgetragen wird. Dieses Szenario gab es mit den anderen genannten Vereinen nie. Seit der Saison 2011/12 traf man sieben Mal im Pokal aufeinander, dreimal davon im Finale, zweimal im Halbfinale – dass die Bilanz dabei nur 4:3 zugunsten der Bayern lautet, deutet auch darauf hin, dass die Borussia im direkten Duell immer in der Lage war, die Bayern zu fordern, obwohl der Punktrückestand in der Bundesliga in den letzten sieben Jahren doch meist enorm war.

Choreografien aus den Pokalendspielen 2014 und 2016

Der BVB war auch der einzige deutsche Kontrahent des FCB in der Champions League, mit dem man sich auf Augenhöhe duellierte. Über Wembley 2013 muss man nicht viele Worte verlieren und in der Saison 1997/98 schied der amtierende Deutsche Meister FC Bayern im Viertelfinale in der Verlängerung beim amtierenden CL-Sieger Borussia Dortmund aus.

In Vergessenheit geraten ist dagegen, dass sich die beiden aktuellen Dauerrivalen vorher fast ein Jahrhundert „leistungsmäßig“ fast schon aus dem Weg gegangen sind. Während der FC Bayern mit seiner Gründung am 27. Februar 1900 sofort die Vorherrschaft im Münchner Fußball übernahm, schnell zu einer regionalen (bayerischen bzw. süddeutschen) Größe aufstieg und nach einigen gescheiterten Versuchen 1932 erstmals Deutscher Fußballmeister wurde, dümpelte der BVB nach seiner Gründung 1909 fast vier Jahrzehnte in einer gewissen Bedeutungslosigkeit dahin. Im Ruhrpott war der heutige Erzrivale Schalke 04 die absolute Nummer 1, viele Dortmunder waren in jener Phase sogar Schalke-Fans bzw. -Bewunderer. Dieses „Aschenputtel-Dasein“ des BVB änderte sich mit einer Partie schlagartig: Am 18. Mai 1947 schlugen die Borussen erstmals die zuvor übermächtigen Knappen mit 3:2 und wurden – heute würde man sagen „sensationell“ – Westfalenmeister. Ein Sieg, der dem Verein, der Stadt und den Fans offensichtlich sehr viel Selbstvertrauen einimpfte: Seit diesem Triumph mischte der BVB im deutschen Fußball mit! 1956 und 1957 gewann er die ersten beiden seiner insgesamt acht Deutschen Meisterschaften und stieg 1963 als amtierender Meister in die neu gegründete Bundesliga ein.

Die Bayern dagegen, die unter ihrem Präsidenten Kurt Landauer 1932 auf dem Weg zur Vormacht im deutschen Fußball, aber auch aufgrund der für damals sehr modernen Strukturen zu einer europäischen Größe waren, brauchten sehr lange, bis sie sich von den „Schwächungen“ im Dritten Reich erholt hatten. In der Oberliga Süd (1945-1963) waren sie zwar in 10 von 18 Jahren die Nummer 1 in München, insgesamt aber weit vom dominierenden Club aus Nürnberg abgehängt. 1955 stieg der FCB zudem zum einzigen Mal in seiner Vereinshistorie ab. Auf den sofortigen Wiederaufstieg 1956 folgte nur ein Jahr später der erste DFB-Pokalsieg. Aber 1963 zählte man – nennen wir es aus „sportpolitischen Gründen“ – nicht zu den Gründungsmitgliedern der Bundesliga.

Als die Bayern 1965 in die Bundesliga aufstiegen, waren die Dortmunder eine renommierte Spitzenmannschaft im deutschen Fußball und so verwunderte es nicht, dass die Bayern das allererste Aufeinandertreffen gegen den BVB am 16. Oktober 1965 zuhause im Grünwalder Stadion mit 0:2 verloren. Am Saisonende war Dortmund hauchdünn vor den Bayern Vizemeister – beide Vereine hatten in jener Saison durchaus die Möglichkeiten, den Münchner Löwen den einzigen Meistertitel in deren Vereinsgeschichte streitig zu machen. Der BVB wurde zudem 1966 erster deutscher Europapokalsieger (der Pokalsieger) und der FC Bayern gewann als Bundesliga-Neuling sofort den DFB-Pokal.

Ab der Saison 1966/67 ging die Entwicklung der beiden Vereine in grundsätzlich verschiedene Richtungen: Die Bayern gewannen am 17. Dezember 1966 erstmals gegen den BVB mit 1:0 und am Ende der Saison den DFB- und den Europapokal der Pokalsieger und standen damit am Anfang ihrer – vor allem international – erfolgreichsten Ära. Der BVB dagegen stieg nach der Saison 1971/72 in die Regionalliga (damals 2. Liga) ab. Unvergessen aus jener Saison: Der 11:1-Sieg der Bayern am 27. November 1971: Gerd Müller (4), Uli Hoeneß, Franz Roth (je 2), Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Willi Hoffmann zerlegten vor 17.000 Zuschauern im Grünwalder Stadion den BVB in alle Einzelteile – bis heute der höchste Bundesligasieg des FC Bayern.

Während die Bayern von 1972-74 ihren ersten Titel-Hattrick in der Bundesliga holten und von 1974-76 dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister holten, benötigte der BVB vier Jahre um sich einigermaßen zu erholen und 1976 wieder in die Bundesliga zurückzukehren. Aber erst in der Saison 1994/95 konnte man wieder – unter Mithilfe der Bayern am letzten Spieltag, die den Tabellenführer Bremen mit 3:1 schlugen – Deutscher Meister werden. Die Bayern waren zu dem Zeitpunkt längst Deutscher Rekordmeister!

Ein paar Zahlen: Insgesamt gab es seit 1965 123 Pflichtspiele zwischen den beiden Vereinen, 60 davon gewann der FCB, 33 der BVB, bei 30 Unentschieden. Torverhältnis 237:152 für Bayern.

Dagegen ist die Gesamt-Heimbilanz des BVB gegen Bayern leicht positiv: 61 Spiele – 22 S / 19 U / 20 N  – 95:90 Tore

Bundesliga-Gesamt-Bilanz aus FCB-Sicht: 101 Spiele – 46 S / 29 U / 25 N – 199:122 Tore

BL-Heimbilanz BVB: 50 Spiele – 16 S / 19 U / 15 N – 71:69 Tore.

Jedoch hat Dortmund seit der FCB-Bundesliga-Dominanz ab der Saison 2012/13 eine negative Heimbilanz gegen den Rekordmeister: 7 Spiele – 2 S / 2 U / 3 N – 6:10 Tore.

Zur frühen BL-Geschichte: Nach drei Niederlagen in Serie in Dortmund nach dem Bundesliga-Aufstieg 1965 gewann der FCB in seinem ersten Doublejahr 1969 am 19. April 1969 auch zum ersten Mal ein Auswärtsspiel in Dortmund. Der 19-jährige gebürtige Münchner Helmut Schmidt erzielte damals in der 89. Minute den 1:0-Siegtreffer, die Vorentscheidung auf dem Weg zur 1. Bundesliga-Meisterschaft der Bayern. (Titelbild: Choreo SK beim Heimspiel im November 2019 gegen Dortmund)

Zum Spiel heute Abend

Tabellen-Zweiter gegen Tabellen-Erster, beste Heimmannschaft gegen bestes Auswärtsteam, Haaland gegen Lewandowski (Torjäger), Sancho gegen Müller (Assists) – mehr geht eigentlich fast nicht, wenn man sich zudem die große Rivalität des vergangenen Vierteljahrhunderts anschaut.

Wie können die Bayern den Ausfall von Thiago verkraften? Beim BVB scheint dagegen das Fehlen der (ehemaligen?) „Gallionsfigur“ Marco Reus keine Rolle mehr zu spielen. Die am vergangenen Samstag verletzt ausgeschiedenen Hummels und Boateng scheinen dagegen wieder einsatzbereit zu sein.

 Tipp FC Bayern Total:

Der FCB gewinnt in einem bis zur letzten Sekunde hart umkämpften Match mit 2:1 und kommt damit seiner insgesamt 30. Deutschen Meisterschaft und seiner achten in Serie einen großen Schritt näher.

Veröffentlicht von fcbayerntotal

Admin und Autor von FC Bayern Total

2 Kommentare zu „BVB – FCB – Meisterschafts-Vorentscheidung am 28. Spieltag?

  1. Danke, wie immer eine glänzende Vorbereitung aufs Spiel … mit sehr hübschen Details.

    Helmut Schmidt kannte ich nur als Bundeskanzler 😉

  2. Bin leider erst heute früh – immer noch euphorisiert – zum Lesen gekommen. Trotzdem wie immer eine Bereicherung für jeden FCB-Fan.

    Die angesprochenen Duelle der Toptorjäger und „Assist-Könige“ haben eigentlich nur sehr begrenzt stattgefunden – ein Geniestreich von Josh hat die Partie entschieden (und die BVB-Fans schimpfen auf Torwart und Trainer 😉 😉 ).

    Ich schließe mich dem Schlusssatz an („Der FCB gewinnt in einem bis zur letzten Sekunde hart umkämpften Match mit 2:1 und kommt damit seiner insgesamt 30. Deutschen Meisterschaft und seiner achten in Serie einen großen Schritt näher.“) => Wenn sich die Bayern jetzt noch den Titel nehmen lassen, dann verdienen sie es auch nicht, der erste „Geister-Meister“ der Bundesligageschichte zu werden.

    PS: Das Niveau dieser Geisterspiele ist bislang sehr gut – wer aktuell nicht schaut, verpasst was!

Kommentar verfassen

Entdecke mehr von FC Bayern Total

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen