Danke Brazzo!

In den letzten Wochen und Monaten, speziell nach dem Champions League Endspielsieg gegen PSG in Lissabon, konnten sich viele Spieler wie auch Hansi Flick und sein Betreuerteam kaum vor Lobeshymnen retten: Robert Lewandowskis Traumsaison, die seine Ambitionen auf den Titel des Weltfußballers mehr als berechtigt, der gerade im Finale unbezwingbare Manuel Neuer, der „Torhüter, der das Torwartspiel auf ein anderes Niveau brachte“, „Rookie oft the Year“ Phonzie Davies, um nur ein paar wenige zu nennen. Wer aber lobte in den vergangenen Wochen den neuen Sportvorstand des FC Bayern, Hasan „Brazzo“ Salihamidzic in gebührender Art und Weise?

Brazzo – der Unterschätzte

Bereits 1998, als er als 21-Jähriger vom HSV zum großen FC Bayern wechselte, wurde der Bosnier als Spieler unterschätzt. Niemand traute ihm zu dem Zeitpunkt zu, dass er für neun Jahre (1998-2007) eine der tragenden Säulen der Bayern-Mannschaft sein würde. Er war nicht der allergrößte Feintechniker, aber sein unbedingter Wille, seine Leidenschaft, beeindruckten sowohl seine Teamkollegen wie auch die Bayernfans. Brazzo war nie ein Spieler, der nach Erfolgen „satt“ wirkte. Für mich persönlich unvergessen eine Trainingseinheit im Herbst 2001: Die Bayern waren bekanntermaßen amtierender Deutscher Meister und Champions League Sieger. Brazzo verlor mit seinem Team das abschließende Traininsspiel,  zeitgleich mit dem finalen Siegtreffer des Trainingsgegners drosch Salihamidzic wutendbrannt einen Ball über die FCB-Gebäude Richtung Säbener Straße. Schätzungsweise wurde dieser Trainingsball nie mehr gefunden 😉  Brazzo – das ehrgeizige Mentalitätsmonster!

Seit 2017 FCB-Sportdirektor

Ab 31. Juli 2017 präsentierte der FCB den damals 40-jährigen Bosnier als Sportdirektor. Er war damit der Nachfolger von Matthias Sammer, welcher allerdings in der Vereinshierarchie (von 2012 bis 2016) als Sportvorstand eine Stufe höher als Salihamidzic bei seinem Amtsantritt gestanden war. Nach Sammers Schlaganfall im April 2016 und seinem (angeblich) gesundheitsbedingten Ausscheiden ein Vierteljahr später, war der große FCB unverständlicherweise 15 Monate im sportlichen Bereich mehr oder weniger führungslos. Und wenn die Herren Rummenigge, Hoeneß, Hopfner, Hainer & Co. heute ein ehrliches Statement zu jener Zeit abgeben würden, müssten sie alle zugeben, dass dies ein riesiger Fehler war (nicht die Verpflichtung von Brazzo, sondern die Vakanz auf diesem Posten).

Brazzo hatte es von Anfang an nicht einfach auf diesem Posten. Medial und bei einer nicht kleinen Anzahl eigener Fans wurden ihm eher seine nicht immer so eloquenten Pressekonferenzen vorgeworfen, als dass gesehen worden wäre, mit welcher Akribie, mit welchem Ehrgeiz und welcher Gewissenhaftigkeit er an die Sachen heranging. Dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist, wurde nicht als Erklärung akzeptiert.

Brazzo erledigte auf seine Art und Weise viele Dinge eher still, speziell auf dem Campus wurden viele Versäumnisse der vorangegangenen (mindestens) 15 Monate „vertraglich korrigiert“. Die Öffentlichkeit und auch viele Fans dankten ihm dies aber keineswegs: Immer wenn ein neues Nachwuchstalent verpflichtet wurde, wurde mit einem Kopfschütteln darauf verwiesen, dass dieses keineswegs kurzfristig den Profikader verstärken könne. Nachhaltigkeit war lange Zeit wenig in den Köpfen verankert.

Vielleicht auch, weil seine „Arbeit im Verborgenen“ wenig Beachtung fand, ging Brazzo Anfang 2019 erstmals bei den Transferbemühungen um Callum Hudson-Odoi in die Offensive und tat dies auch ein paar Monate später bei Leroy Sané. Bekanntermaßen konnten beide Transfers in 2019 nicht umgesetzt werden und Salihamidzic wurde auch wegen seines „offensiven Vorgehens“ in den Medien nahezu gegrillt. Dagegen wurde die Mannschaft im Sommer 2019 mit Lukas Hernandez, Benjamin Pavard, Mickael Cuisance und mit den Leihen Philippe Coutinho und Iwan Perisic verstärkt. Aus heutiger Perspektive ein Witz: Die Sommertransfer-Periode 2019 wurde von nicht wenigen eigenen Fans als „peinlich“, „Schande für den Verein“ oder als „schlechteste der Vereinsgeschichte“ bezeichnet. Tatsache ist, dass Brazzo vor einem Jahr entscheidend dazu beigetragen hat, als der Kader (zumindest einer) der besten Mannschaft(en) der Fußball-Weltgeschichte zusammengestellt wurde.

Seit 1. Juli Sportvorstand

Als der Aufsichtsrat des Vereins sich im November 2019 dazu entschloss, Brazzo zum 1. Juli 2020 zum Sportvorstand aufsteigen zu lassen, wurde dies von vielen Seiten kritisiert. Selbst Anfang Juli, als bereits feststand, dass Hansi Flicks Bayern eine grandiose Saison spielen würden, die sogar vom CL-Sieg und dem Triple gekrönt werden könnte, äußerten sich in den Social Media noch zahlreiche FCB-Fans abfällig über den neuen Sportvorstand. Und dies, obwohl zu dem Zeitpunkt auch – endlich – der heißersehnte Transfer von Leroy Sané eingetütet worden war.

Danke Brazzo!

Als Spieler 2001 und als verantwortlicher Sportvorstand 2020 Champions League Sieger mit dem FC Bayern – eine Vereinslegende!

PS: Auch schon 2017 und 2018 wurden von Brazzo zahlreiche positive Spielertransfers, allen voran der von Alphonso Davies, getätigt – dies sei hier an der Stelle nur erwähnt. Der Beitrag hat keinen Anspruch, alle wichtigen Entscheidungen von Hasan Salihamidzic aufzuzählen, sondern möchte ihn lediglich ins richtige Licht rücken.


Titelbild: Screenshot vom Pressetalk mit Brazzo

Veröffentlicht von fcbayerntotal

Admin und Autor von FC Bayern Total

15 Kommentare zu „Danke Brazzo!

    1. Du bist der erste, der dies hier unter dem Beitrag so klar und deutlich ausdrückt. Viele andere haben mir das (leider nur) per WhatsApp o.ä. mitgeteilt …

      Leute, seid nicht feige (oder faul) … 😉 😉

  1. Endlich endlich eine Würdigung für das „Arbeitstier“ Hasan Brazzo Salihamidzic!!!

    Er hat es mehr als verdient – danke FC Bayern Total

    1. Zur Würdigung gehört auch Lucas Hernandez – aufgrund der Verletzung bei Verpflichtung und des Preises ein Hochrisiko Transfer, der bislang nicht überzeugen konnte. Die Coutinho Leihe hat nicht gut funktioniert, gut daran war nur, dass es sich um eine Leihe gehandelt hat. Perisic ist ein guter Spieler, aber nicht wirklich im Stamm, und Cuisance braucht mindestens noch Zeit, oder verlässt die Bayern gar noch diesen Sommer. In der Startelf gegen PSG stand keine Neuverpflichtung aus 2019/2020. Nicht alles klappt, was Brazzo anfässt. Die Flick Verpflichtung erweist sich als Segen, ich hätte das nicht erwartet.

      1. @ Achim:

        Zunächst einmal danke, dass du noch auf die Verpflichtung von Hansi Flick im letzten Sommer, damals als Co-Trainer, hinweist. Ich habe bereits im letzten Sommer geschrieben, dass dies eventuell der „Königstransfer“ von Bayern bzw. Brazzo sein könnte – dass es derart extrem werden würde, konnte damals niemand ahnen.

        Dann muss ich dir aber einfach komplett widersprechen: Es geht nicht um die Jahrestransfers, sondern um die Zusammenstellung der Mannschaft für eine Saison – und wer die Mannschaft 2019/20 nicht als überragend einstuft, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.

        Bei den Neuzugängen / Finalelf hast du wohl bewusst Benjamin Pavard vergessen … 😉 Absoluter Stammspieler, leider verletzt.

        Im Verein wird Hernandez mit der Situation um Lizarazu 1997/98 in seiner ersten FCB-Saison verglichen. Geben wir dem Lucas doch auch diese Chance…

        Perisic von den Einsätzen ähnlich Stamm wie ein Thiago, aber wohl noch mehr als ein Coman 😉 Er ist kein brillanter Techniker – aber was der im Finale nach seiner Einwechslung in bester Verteidiger-Manier weit vorne abgeräumt hat, war sensationell …

        Coutinho,selbst Odriozola, hatte(n) im Finalturnier eine wichtige Rolle …. Es waren alle gute Jungs, wichtig für die Stimmung.

        PS: Wenn Sané wider Erwarten in der kommenden Saison sich hinter überragenden Gnabry und Coman einreihen muss, ist er dann ein „Fehleinkauf“, oder ist der aktuell, nicht zuletzt von Brazzo zusammengestellte Kader dann einfach überragend?

      2. @ Achim: Auch bei den Fans wäre es manchmal an der Zeit zu sagen: Ups, ich habe mich geirrt. Sorry und danke, Brazzo! Stattdessen wird das Haar in der Suppe gesucht, schade …

        PS: Das gilt übrigens auch für die Verweigerer der Spiele aus der Fanszene, die solange die Spiele boykottieren, bis sie selbst wieder ins Stadion dürfen. Nicht der Profifußball wollte eine Extrawurst, nein, ein paar nicht ganz so wichtige „Fans“…

      3. Weltbeste Mannschaft (hier auf der Seite in anderen Artikeln bestens herausgearbeitet) – welche Vorwürfe kann man den dafür Verantwortlichen machen? Eine rhetorische Frage …

  2. Ich war zugegebenermaßen lange Zeit eher skeptisch, ob Hasan Salihamidzic die richtige Wahl für diese Aufgabe ist, bin aber inzwischen zu der Einsicht gelangt, dass er seine Sache bisher wirklich gut gemacht hat. Ich stimme Dir daher zu, dass das Bild, das viele nach wie vor von ihm zeichnen, unbedingt korrigiert werden muss. Guter und überfälliger Beitrag, Peter. Top!

  3. Leider wird immer noch nicht Brazzos Anteil an diesem Triple angemessen herausgestellt. Dieser Beitrag ist daher eine Ausnahme, vielen Dank dafür!
    Brazzos beharrliche und über Jahre konstante Arbeit auf vielen Gebieten (die oft auch nicht unbedingt zu Schlagzeilen taugen) wird leider immer noch nicht richtig wahrgenommen.

  4. Es wäre mal interessant, Mäuschen zu spielen, welche Funktion Brazzo tatsächlich ausübt. Anders als Reschke und Sammer ist er wohl nicht der, der selbst Spieler auswählt (Sammer kannte als Ex-DFBler den gesamten deutschen Nachwuchs, Reschke war auch international top vernetzt (Coman, Costa)).

    Sondern Brazzo scheint derjenige zu sein, der dann die Transfers auch durchzieht. Der also Spieler wie Davies, wie Cuissance davon überzeugt, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt ist zum FC Bayern zu wechseln.

    Ich habe es ehrlich gesagt nie verstanden, warum die große Mehrheit der Bayernfans ihn dauernd kritisiert haben. Cuisance und Davies hat er absolut geräuschlos durchgezogen, und ich denken, beide Transfers werden dem FC Bayern noch sehr viel weiterhelfen. Medial offensiv wurde er doch nur bein den großen Clubs. Wobei er bei ManCity letztlich der Gewinner ist – der Spieler ist bei uns, ManCity hat ihn sogar so frühzeitig abgegeben dass er die CL nicht mehr spielen durfte (bei Coutinho war das anders, und das war gut so). Und Hudson Odoi hat sich zwar gegen uns entschieden, aber dem muss Chelskov jetzt ein irres Gehalt zahlen und der Spieler fragt sich eventuell selbst, ob er die beste oder nur die zweitbeste Entscheidung gefällt hat.

    Transferentscheidungen wie Pavard oder Hernandez sind IMHO ebenso Vorstandssache wie Trainerwechsel oder Verkäufe / Nichtausübung von Optionen (Hummels, James). Brazzo für Pavard zu loben wäre ebenso falsch wie ihn für Hernandez zu kritisieren.

    1. Letztendlich funktioniert heutzutage alles nur im Team.

      Alleingänge wie damals bei Uli Hoeneß oder Calli Callmund, der halb Südamerika selbst bereiste, sind heute weder möglich noch nötig noch sinnvoll.

      In einem komplexen Gebilde wie dem FC Bayern gibt es nie nur alleinige Gewinner und Sieger. Entscheidend ist, was unter dem Strich herausgekommen ist – der FCB, Brazzo & Co sind mit einer im Welt-Fußball einmaligen Leistung Triple-Sieger!

      Wo man direkt mitbekommen hat, dass er sehr tätig ist, ist auf dem Campus. Mit allen wirklich hoffnungsvollen Talenten wurden unter ihm Verträge unterzeichnet / verlängert. Das war (mind.) 16 Monate lang völlig versäumt worden. Da sind ein paar Millionen an Ablösesummen flöten gegangen. Außerdem sieht man ihn durchaus das ein oder andere Mal auf dem Campus (es spielt ja auch sein Sohn dort).

  5. Ich schreibs mal hierhin, weil es die Nachwuchsspieler betrifft. Aber an sich ist das Thema breiter. Jetzt hat Bayern also in der Winterpause ein paar Nachwuchsspieler verliehen (Dajaku, Zirkzee, Richards). Man hat auch drei Nachwuchsspieler neu bzw. zurückgeholt, einen Linksverteidiger (Vita), einen Stürmer (Oberlin, schon 23) und als ZM Singh.

    Wenn nicht etwas völlig unerwartetes passiert, werden die Transfers keine Auswirkungen auf die erste Mannschaft haben. Wollte man nicht, oder konnte man nicht? Ein Tausch Costa / Perisic hätte die Mannschaft wohl verbessert und wäre auch kein so großes Risiko gewesen, da Perisic schon mal da war (er wäre gerade kein typischer Wintertransfer gewesen). Die Leihe von Singh bricht man ab, aber an Fein (hat es schwer beim PSV) denkt man nicht. Vom Nachwuchs drängt aktuell außer Musialla keiner nach oben – Stiller am allerwenigsten, der wird ja im Sommer zu Hoffenheim gehen.

    Man ist im Kopf schon bei der alljährlichen Neugestaltung der Innenverteidigung – siehe die Diskussion um Alaba, Upamecanu, Boateng, Süle – es ist ja schön wenn Bayern seit Samy Kuffour jedes Jahr einen neuen Top-Innenverteidiger holt. Aber hätte man nicht auch für die Rückrunde was tun müssen?

  6. Campus, Nachwuchsarbeit, Struktur, Strategie … aktuell ein sehr schwieriges Thema, weil man seit fast einem Jahr nicht mehr“ dabei“ ist …

    Ein bisschen traurig ist die Situation um Joshua Zirkzee … würde der Verein das sehr hoffnungsvolle Talent im Sommer tatsächlich für 15 Mio ziehen lassen …?

    Remy Vita spielt übrigens schon seit Oktober für die Amateure ..

    Costa ist umstritten, aber häufig ist die Kritik an ihm auch nicht gerechtfertigt … ein Tausch Costa / Perisic jetzt im Winter war einfach nicht machbar / nicht realistisch … Welche Vereine hätten dabei beteiligt sein sollen?

    Angelo Stiller: Vom Campus hört man, dass ihn Brazzo eigentlich hätte halten wollen. Hansi Flick hält ihn jedoch nicht für geeignet fürs temporeiche Bayernspiel. Kann man so sehen, muss man aber nicht … Das hieße z.B. auch, dass der „Fußballgott“ Basti Schweinsteiger selbst auch in seiner besten Phase keiner für die aktuellen Bayern mehr (gewesen) wäre … Kann man so sehen, muss man aber nicht … 😉 😉

    IV: Die ganz große Unbekannte (und Hoffnung) ist Tanguy Nianzou!

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