Wenn heute Abend beim Duell der Dauerrivalen des letzten Vierteljahrhunderts Borussia Dortmund den FC Bayern am 7. Bundesligaspieltag der Saison 2020/21 empfängt, dann geht es einmal mehr um die aktuelle Vorherrschaft im deutschen Profifußball: Der punktgleiche Tabellenzweite begrüßt den Spitzenreiter. Natürlich ist die Situation nicht ganz so brisant wie am 28. Spieltag der Vorsaison Ende Mai, als der FCB mit einem 1:0 im Signal Iduna Park die Meisterschafts-Vorentscheidung erzielte. Dennoch geht es um sehr viel Prestige und darum als Spitzenreiter in die Länderspielpause zu gehen. Den Bayern reicht dafür bereits ein Unentschieden.
Gemeinsame Historie
Seit der FC Bayern im Juni 1965 in die Bundesliga aufgestiegen war, hatte der Rekordmeister immer periodisch Rivalen, die auf Augenhöhe mit den Münchnern um die Meisterschaften kämpften – Borussia Mönchengladbach, der HSV, Kaiserslautern, Werder Bremen seien hier vor allem zu nennen. Aber noch nie gab es einen Verein, der solange mit den Bayern um die Vorherrschaft im deutschen Fußball kämpfte wie der BVB. Neu im Duell mit dem stärksten Rivalen in der Bundesliga ist, dass dieses nun seit Jahren auch, wenn nicht sogar vor allem, im DFB-Pokal ausgetragen wird. Dieses Szenario gab es mit den anderen genannten Vereinen nie. Seit der Saison 2011/12 traf man sieben Mal im Pokal aufeinander, dreimal davon im Finale, zweimal im Halbfinale – dass die Bilanz dabei nur 4:3 zugunsten der Bayern lautet, deutet auch darauf hin, dass die Borussia im direkten Duell immer in der Lage war, die Bayern zu fordern, obwohl der Punktrückestand in der Bundesliga in den letzten acht Meisterjahren doch meist enorm war.

Der BVB war auch der einzige deutsche Kontrahent des FCB in der Champions League, mit dem man sich auf Augenhöhe duellierte. Über Wembley 2013 muss man nicht viele Worte verlieren und in der Saison 1997/98 schied der amtierende Deutsche Meister FC Bayern im Viertelfinale in der Verlängerung beim amtierenden CL-Sieger Borussia Dortmund aus.
In Vergessenheit geraten ist dagegen, dass sich die beiden aktuellen Dauerrivalen vorher fast ein Jahrhundert „leistungsmäßig“ fast schon aus dem Weg gegangen sind. Während der FC Bayern mit seiner Gründung am 27. Februar 1900 sofort die Vorherrschaft im Münchner Fußball übernahm, schnell zu einer regionalen (bayerischen bzw. süddeutschen) Größe aufstieg und nach einigen gescheiterten Versuchen 1932 erstmals Deutscher Fußballmeister wurde, dümpelte der BVB nach seiner Gründung 1909 fast vier Jahrzehnte in einer gewissen Bedeutungslosigkeit dahin. Im Ruhrpott war der heute krisengeschüttelte Erzrivale Schalke 04 die absolute Nummer 1, viele Dortmunder waren in jener Phase sogar Schalke-Fans bzw. -Bewunderer. Dieses „Aschenputtel-Dasein“ des BVB änderte sich mit einer Partie schlagartig: Am 18. Mai 1947 schlugen die Borussen erstmals die zuvor übermächtigen Knappen mit 3:2 und wurden – heute würde man sagen „sensationell“ – Westfalenmeister. Ein Sieg, der dem Verein, der Stadt und den Fans offensichtlich sehr viel Selbstvertrauen einimpfte: Seit diesem Triumph mischte der BVB im deutschen Fußball mit! 1956 und 1957 gewann er die ersten beiden seiner insgesamt acht Deutschen Meisterschaften und stieg 1963 als amtierender Meister in die neu gegründete Bundesliga ein.
Die Bayern dagegen, die unter ihrem Präsidenten Kurt Landauer 1932 auf dem Weg zur Vormacht im deutschen Fußball, aber auch aufgrund der für damals sehr modernen Strukturen zu einer europäischen Größe waren, brauchten sehr lange, bis sie sich von den „Schwächungen“ im Dritten Reich erholt hatten. In der Oberliga Süd (1945-1963) waren sie zwar in 10 von 18 Jahren die Nummer 1 in München, insgesamt aber weit vom dominierenden Club aus Nürnberg abgehängt. 1955 stieg der FCB zudem zum einzigen Mal in seiner Vereinshistorie ab. Auf den sofortigen Wiederaufstieg 1956 folgte nur ein Jahr später der erste DFB-Pokalsieg. Aber 1963 zählte man – nennen wir es aus „sportpolitischen Gründen“ – nicht zu den Gründungsmitgliedern der Bundesliga.
Als die Bayern 1965 in die Bundesliga aufstiegen, waren die Dortmunder eine renommierte Spitzenmannschaft im deutschen Fußball und so verwunderte es nicht, dass die Bayern das allererste Aufeinandertreffen gegen den BVB am 16. Oktober 1965 zuhause im Grünwalder Stadion mit 0:2 verloren. Am Saisonende war Dortmund hauchdünn vor den Bayern Vizemeister – beide Vereine hatten in jener Saison durchaus die Möglichkeiten, den Münchner Löwen den einzigen Meistertitel in deren Vereinsgeschichte streitig zu machen. Der BVB wurde zudem 1966 erster deutscher Europapokalsieger (der Pokalsieger) und der FC Bayern gewann als Bundesliga-Neuling sofort den DFB-Pokal.
Ab der Saison 1966/67 ging die Entwicklung der beiden Vereine in grundsätzlich verschiedene Richtungen: Die Bayern gewannen am 17. Dezember 1966 erstmals gegen den BVB mit 1:0 und am Ende der Saison den DFB- und den Europapokal der Pokalsieger und standen damit am Anfang einer ihrer – vor allem international – erfolgreichsten Ären. Der BVB dagegen stieg nach der Saison 1971/72 in die Regionalliga (damals 2. Liga) ab. Unvergessen aus jener Saison: Der 11:1-Sieg der Bayern am 27. November 1971: Gerd Müller (4), Uli Hoeneß, Franz Roth (je 2), Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Willi Hoffmann zerlegten vor 17.000 Zuschauern im Grünwalder Stadion den BVB in alle Einzelteile – bis heute der höchste Bundesligasieg des FC Bayern.

Während die Bayern von 1972-74 ihren ersten Titel-Hattrick in der Bundesliga holten und von 1974-76 dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister holten, benötigte der BVB vier Jahre um sich einigermaßen zu erholen und 1976 wieder in die Bundesliga zurückzukehren. Aber erst in der Saison 1994/95 konnte man wieder – unter Mithilfe der Bayern am letzten Spieltag, die den Tabellenführer Bremen mit 3:1 schlugen – Deutscher Meister werden. Die Bayern waren zu dem Zeitpunkt längst Deutscher Rekordmeister!

Ein paar Zahlen: Insgesamt gab es seit 1965 125 Pflichtspiele zwischen den beiden Vereinen, 62 davon gewann der FCB, 33 der BVB, bei 30 Unentschieden. Torverhältnis 241:154 für Bayern.
Dagegen ist die Gesamt-Heimbilanz des BVB gegen Bayern leicht positiv: 62 Spiele – 22 S / 19 U / 21 N – 95:91 Tore
Bundesliga-Gesamt-Bilanz aus FCB-Sicht: 102 Spiele – 48 S / 29 U / 25 N – 200:122 Tore
BL-Heimbilanz BVB: 51 Spiele – 16 S / 19 U / 16 N – 71:70 Tore.
Jedoch hat Dortmund seit der FCB-Bundesliga-Dominanz ab der Saison 2012/13 eine negative Heimbilanz gegen den Rekordmeister: 8 Spiele – 2 S / 2 U / 4 N – 6:11 Tore.
In der aktuellen Situation sollte man vielleicht auch eine neue Kategorie bei den Bilanzen aufführen: „Geisterspiele“ – die Bilanz aus Sicht des FCB gegen Dortmund: 2 Spiele – 2 Siege – 4:2 Tore. Matchwinner war übrigens jeweils Joshua Kimmich – alle guten Dinge sind drei? 😉
Zur frühen BL-Geschichte: Nach drei Niederlagen in Serie in Dortmund nach dem Bundesliga-Aufstieg 1965 gewann der FCB in seinem ersten Doublejahr 1969 am 19. April 1969 auch zum ersten Mal ein Auswärtsspiel in Dortmund. Der 19-jährige gebürtige Münchner Helmut Schmidt erzielte damals in der 89. Minute den 1:0-Siegtreffer, die Vorentscheidung auf dem Weg zur 1. Bundesliga-Meisterschaft der Bayern. Dazu passend das Titelbild dieses Beitrags: Die Choreographie der Südkurve beim 4:0-Heimspieg der Bayern vor einem Jahr (dem letzten Spiel gegen den BVB vor Zuschauern): 50 Jahre Double!
Zum Spiel heute Abend
Tabellen-Zweiter gegen Tabellen-Erster, beste Abwehr (BVB-2 Gegentore gegen besten Angriff (die 24 Tore des FCB nach 6 Spieltagen sind BL-Rekord), Haaland gegen Lewandowski (Torjäger), Sancho gegen Müller (Assists) – mehr geht eigentlich fast nicht, wenn man sich zudem die große Rivalität des vergangenen Vierteljahrhunderts anschaut.
Bei den Aufstellungen scheint es auf beiden Seiten noch ein paar Unsicherheiten zu geben: Fällt auf BVB-Seite Mats Hummels tatsächlich heute Abend aus? Und die Bayern scheinen neben Alphonso Davies und Niklas Süle auch Benjamin Pavard ersetzen zu müssen. Glücklicherweise kann man auf einen breiteren Kader als in der Vorsaison zurückgreifen.
Heute Abend wieder „Geisterspiel“ in Dortmund: Die Bayern sollten national wie international europaweit die einzige Spitzenmannschaft sein, die seit Mai 2020 tatsächlich jedes „Geisterspiel“ gewonnen haben – auch heute?
Tipp FC Bayern Total
Der FCB gewinnt in einem bis zur letzten Sekunde hart umkämpften Match mit 2:1. Robert Lewandowski schießt gegen „seinen Lieblingsgegner“ das entscheidende Tor.