Auf einem Küchenschemel stehend in der Stadionkurve – mein erstes FCB-Spiel vor über 50 Jahren

Am 29. Mai 1971, heute vor 51 Jahren, hatte ich als Achtjähriger meine Live-Premiere bei einem Bundesliga-Spiel meiner Bayern. Der Gegner im Grünwalder Stadion war der Tabellenvierte Eintracht Braunschweig. Begleitet wurde ich von meinem Vater, meinem Großvater und einem Onkel aus Österreich, der auch immer schon Bayern-Fan gewesen war.

Animiert durch die Fußball WM 1970 in Mexico hatte ich ab der Saison 1970/71 begonnen, mich immer mehr für Fußball zu interessieren. Ab diesem Zeitpunkt verfolgte ich jedes einzelne Spiel meines FC Bayern – bis heute. Zunächst saß ich gefühlt an jedem Samstagnachmittag zusammen mit meinem Vater vor dem Radio und wir fieberten gemeinsam bei der legendären Bayern 1 Kultsendung „Heute im Stadion“ mit dem FC Bayern mit. Die Leidenschaft war schon damals – ohne Sky, Liveticker, Videotextinfo – riesengroß! Nur die zwei bis drei BL-Topspiele wurden in der Sportschau von 18:00 bis 18:30 in Ausschnitten gezeigt. Bei (internationalen) Abendspielen fieberte ich schon dem Morgen entgegen, um so früh wie nur möglich aus der Zeitung die Spielresultate zu erfahren.

Und am 29. Mai 1971 war es endlich soweit! Ich erinnere mich noch sehr gut – es war der vorletzte Spieltag der Saison und der damalige große Konkurrent Borussia Mönchengladbach war vor dem Spieltag punktgleich nur knapp aufgrund des Torverhältnisses (ein Törchen!) in der Tabelle vor dem FC Bayern.

Wir kamen ein paar Minuten zu spät zum Spiel, waren noch auf dem Weg zu unseren Plätzen, als Beckenbauer in der 6. Minute das 1:0 für Bayern erzielte. Was für ein großartiger Einstand für mich Knirps! Es war ein wunderbares Erlebnis, auf einem Küchenschemel stehend an meinen Vater gelehnt bejubelte ich den 4:1-Sieg der Bayern, die nun ihrerseits aufgrund des besseren Torverhältnisses in der Tabellen an den Borussen vorbei zogen.

Ja, niemand hat sich verlesen: Ich stand tatsächlich während des gesamten Spiels auf einem Küchenschemel. Wir waren im Stehplatzbereich in der Westkurve zwischen der legendären – noch heute existierenden – manuellen Anzeigentafel und der sog. „Stehhalle“. Diese ist die Gegengerade im Stadion und war eigentlich immer schon wesentlich größer als die – zu klein geratene – Haupttribüne. Ohne diesen Schemel hätte ich keine Chance gehabt, nur ansatzweise etwas vom Spiel selbst mitzubekommen. Mein Vater übernahm diese Praktik von seinem Vater. Keine Ahnung, wie oft er selbst in den 1940er Jahren bei Oberligaspielen der Bayern auf diese Art und Weise FCB-Spiele verfolgt hatte. Transferiert man dieses Szenario in die heutige Zeit, dann entlockt es ein Schmunzeln. Die Kinder haben heutzutage alle das Privileg, die Spiele bequem und sicher auf Sitzplätzen zu verfolgen.

Die Bayerntore schossen Franz Beckenbauer, Rainer Zobel, Dieter „Mucki“ Brenninger und Uli Hoeneß. Für die FCB-Legende Brenninger war es das letzte Heimspiel für den FC Bayern. Vor fast genau drei Jahren traf ich ihn anlässlich der Einweihung des Kurt-Landauer-Denkmals an der Säbener Straße. Ich erzählte ihm, dass sein letztes FCB-Heimspiel mein allererstes war. Er konnte sich an das Spiel nicht wirklich erinnern. Als ich ihm sagte, dass er dabei sogar unter den Torschützen gewesen war, war sein knapper trockener Kommentar: „Wenn wir so hoch gewonnen haben, habe ich immer(!) mein Tor gemacht!“ Wohl war, von 1962 bis 1971 erzielte er insgesamt 135 Pflichtspieltore für den FCB, davon 59 in der Bundesliga.

Eine Woche später verlor der FC Bayern 0:2 beim MSV Duisburg und damit das Meisterschaftsrennen gegen Gladbach. Für mich war das die erste große Fußballenttäuschung meines Lebens. Das Spiel gegen Braunschweig bleibt aber für mich eine unvergessene großartige Erinnerung.

Gerd Müller – und auch Charly Mrosko – waren übrigens genau für meine Premiere gesperrt. Der Grund war ein für heutige Verhältnisse unglaublicher, siehe https://fcbayerntotal.com/2022/01/05/als-ein-freundschaftsspiel-fast-die-landerspielkarriere-von-gerd-muller-beendete/

Widmung

Ich möchte diesen Beitrag meinem Papa widmen, ohne den meine nun schon über ein halbes Jahrhundert andauernde Leidenschaft für den Fußball, den FC Bayern im Speziellen, wahrscheinlich nicht passiert wäre. Eigentlich hätte der Beitrag schon letztes Jahr zum 50-jährigen Jubiläum geschrieben werden sollen, aber genau zu diesem Zeitpunkt hat sich leider mein größter Fußballheld für immer von uns verabschiedet. Ich war nicht dazu fähig.

Lieber Papa, danke für alles, für die vielen gemeinsamen Stadionbesuche im Grünwalder Stadion, im Olympiastadion und auch noch in der Allianz Arena. Noch sehr gut kann ich mich an unseren letzten gemeinsamen Stadiongang am 15. Dezember 2015 erinnern – ein mäßiges Pokalspiel gegen Darmstadt 98 mit einem einzigen Höhepunkt, dem grandiosen Schuss von Xabi Alonso zum 1:0. Danke auch dafür, dass du über Jahrzehnte mein größter Fan warst, als ich selbst aktiv gekickt habe.

Mein Vater war natürlich selbst auch aktiver Fußballer in München: Stadtwerke, VfR und 1906 – dort kickte er zur selben Zeit wie Franz Beckenbauer, natürlich nicht in derselben Mannschaft, weil mein Vater 7 ½ Jahre älter war.


Titelbild: Grünwalder Stadion (HGK): Blick von der Stehhalle (heute Sitzplätze) in die beschriebene Westkurve.

3 Kommentare zu „Auf einem Küchenschemel stehend in der Stadionkurve – mein erstes FCB-Spiel vor über 50 Jahren

  1. Sehr schöner Beitrag 🙂
    Persönlich kenn auch ich den “Weg zum Fußball” zunächst durch Heute im Stadion-wir hatten lange kein Pay TV- mit dem Papa; ich hör Kasi und Co immer noch jubeln 🙂
    Das erste Mal im Stadion werd ich auch nie vergessen: in der vierten Klasse 2008 beim Pokal Halbfinale gegen den VfL aus Wolfsburg von Magath. Ab da war auch mir klar: Fußball bei Bayern ist das beste, am allerbesten im Stadion.:)

  2. Das sind Erlebnisse an die man sich ewig erinnert. Schon allein mit dem küchenschemel, was vielleicht viele nicht mehr kennen, ins Stadion reinkommen, ich glaube das würde heute nicht mehr gehen.

    1. Heute darfst du nicht einmal mehr einen normalen kleineren Rucksack ins Stadion mitnehmen. Ein Küchenschemel – völlig ausgeschlossen. Ein Vater würde mit so einer Idee heute eher ins Gefängnis als ins Stadion mit seinem Kleinen kommen.

      Im Olympiastadion gab es im Winter immer einige, die mit einer Thermoskanne (Jager 😉 )Tee ausgestattet waren – geht natürlich auch nicht mehr …

      Es waren einfach andere Zeiten!

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