FC Bayern in der (Ergebnis-)Krise – ja, leider! Ein Grund für Panik & Kurzschlusshandlungen – NEIN, definitiv nicht!

Kommentar, Analyse von Petersgradmesser

Ein gefundenes Medienfressen: Nach einem überragenden Saisonstart rutschten die Bayern zuletzt in der Bundesliga in eine Art Ergebniskrise. Bereits nach dem zweiten Unentschieden beim aktuellen Bundesliga-Tabellenführer (vor dem Spieltag) Union Berlin zweifelten einige Bayernfans die Tauglichkeit von Coach Julian Nagelsmann stark an, zählten seine Tage und forderten seine Entlassung. Zur Einordnung: Nach zehn Pflichtspielen – u.a. beim amtierenden Europa League Gewinner, beim DFB-Pokalsieger, bei Inter Mailand und gegen den FC Barcelona – lautete die FCB-Bilanz: 7 Siege – 3 Unentschieden – NULL Niederlagen – 33:8 Tore! Die gestrige völlig unnötige Niederlage brachte dann für viele (schon) das Fass zum Überlaufen. FC Bayern Total erklärt, warum diese Reaktionen völlig übertrieben und viele Einschätzungen falsch sind.

Das Netz tobt nach der „Blamage“

Natürlich musste gestern nach dem Spiel jeder Bayernfan maßlos enttäuscht über die Bayernniederlage sein. Vier Bundesligaspiele in Folge ohne Sieg – daran können sich die meisten Bayernfans schon gar nicht mehr erinnern.

Wem passierte zuletzt eine derartige Schmach? Ausgerechnet dem amtierenden Champions League- und Weltpokalsieger 2001 mit dem legendären Trainer Ottmar Hitzfeld und den nun so vehement auf dem Spielfeld geforderten Anführern Stefan Effenberg und Oliver Kahn in der Saison 2001/02. Die Bayern waren damals unfassbare drei(!) Monate (3. November 2001 bis 3. Februar 2002) in der Bundesliga ohne Sieg, sieben(!) Spieltage – drei Unentschieden im heimischen Olympiastadion, vier Auswärtsniederlagen in Serie mit einem 1:5 auf Schalke als traurigem Höhepunkt. Ich kann mich nicht erinnern, dass damals die Fans forderten, den Trainer oder die Mannschaft zum Teufel zu jagen. Ja, es gab noch keine Social Media …

Ein paar exemplarische  Statements aus dem Netz:

„Nagelsmann ist nicht der Richtige, das Spiel wird immer schlechter, gegen Barca war es auch nur Glück. Alles so verkrampft, kein Spielfluss.“

„Dieses Spiel hat Nagelsmann eindeutig vercoacht … versteh ich nicht mehr. Wenn es so weiter geht, sollte man über einen Trainerwechsel reden!“

„Nagelsmann ist einfach ein absoluter Rekordtrainer. Ein Rekord nach dem anderen, oder wann hat Bayern das letzte Mal 4 Bundesligaspiele in Folge nicht gewonnen.“

Ich hoffe, diesem Erfolgsfan konnte ich mit meiner Recherche helfen.

„Trainiert Nagelsmann eigentlich noch richtig oder chillt er dabei mit seiner Freundin von BILD? Weil es ändert sich ja nun seit 4 Spielen absolut nichts – im Gegenteil: Jetzt hat man sich endlich eine Niederlage ins Haus geholt.“

„Hoch verdient! Es ist ein Trauerspiel … Es sagt alles, dass Neuer die beste Torchance für den FC Bayern hatte …“

Es gäbe noch viele wildere, bösartigere Statements, Tweets. Ich belasse es hierbei. Ja, Manuel Neuer zwang Rafal Gikiewicz zu einer überragenden Parade. Wer aber bei diesem Kopfball von der besten Torchance des FCB spricht, der sollte sich schleunigst ein anderes Hobby zulegen, bei dem er sich bestenfalls auch weniger aufregen muss (und weniger blamieren kann).

Julian Nagelsmann konnte nach dem Spiel bereits erahnen, was auf ihn persönlich zukommen würde. Dass er folglich überhaupt keine Lust auf die PK nach dem Spiel hatte, ist mehr als nachvollziehbar. Seine Statements klangen schmallippig und genervt. Er fühlte sich wohl – zurecht – von seinen Spielern im Stich gelassen.

Nagelsmann angefressen auf der PK nach dem Augsburg-Spiel

Wir hatten viele Situationen. Es fließen sehr viele Chancen aus dem Stadion, wir spielen es im letzten Drittel zu laissez-faire. Die Aufstellung von Augsburg ist sehr mutig, sie knallen jeden Ball vorne rein. Dann kriegen wir das Tor und ab da war es schwierig. Wir haben sehr viele Situationen, die einfach so dahinfließen. Am Ende kriegen wir deutlich zu wenig an Resultaten. Wir hatten genügend Situationen, um zu gewinnen.“

Gewisse BILD-Reporter hatten ihn ja schon in der letzten Woche kritisiert, dass er sich selbst nicht hinterfragen würde und es gefährlich sei, die Schuld immer bei der Mannschaft zu suchen. Was ist aber, wenn ein Trainer seine Mannschaft bestens vorbereitet, diese aber in gewissen Situationen kollektiv – auch mental bedingt – versagt? Muss man trotzdem reflexartig und zwangsweise immer eine (Haupt-)Schuld beim Trainer suchen?

Der überragende Ginkiewicz zeigte gestern immer dieselbe Torwarteinlage bei den zahlreichen 1:1-Situation. Nagelsmann schien auf der PK fassungslos, dass seine technisch versierten Profis sich nicht darauf einstellen konnten: Nicht jedes Mal versuchen, flach einzuschieben, sondern auch einmal einen Lupfer ansetzen. Jeder Offensivspieler des FCB hat das im Repertoire!  Es gab in der Tat viele falsche Entscheidungen beim Torabschluss bei unterschiedlichen Spielern zu bemängeln – gestern, in den Spielen zuvor. All diese Torchancen waren übrigens hochkarätiger als die von Manuel Neuer beim Kopfball in der Nachspielzeit!

Die Analyse der (Ergebnis-)Krise des FCB in der Bundesliga

Viele sehen bereits das Nagelsmann-System ohne echten Mittelstürmer als gescheitert an. Was sie dabei absolut vergessen: Es war keineswegs der Wunsch vom Bayerntrainer, dass Robert Lewandowski den Verein verlässt und es ist gewiss nicht seine Schuld, dass man auf dem Spielermarkt keinen adäquaten Ersatz finden konnte.

Es ist auch keineswegs der Fall, dass Bayern von Spiel zu Spiel schlechter spielt. Eher trifft zu, dass die gesamte Offensive, die gesamte Mannschaft beim Torabschluss immer mehr verkrampft. Ich bin mir sicher: Gelingt den Bayern im nächsten Spiel ein frühes und sei es noch so glückliches Tor, der Knoten wird / könnte platzen und der Gegner mit einem Kanterergebnis aus dem Stadion geschossen.

Statistiken als Beleg

Die Bayern wurden nach drei Spieltagen für den besten Start der 60-jährigen Bundesligageschichte gefeiert: Drei Siege – sensationelle 15:1 Tore. Nun heißt es nach sieben Spieltagen: schlechtester FCB-Bundesligastart seit 12 Jahren. Den Bayern und vor allem Nagelsmann wird vorgeworfen, dass das System geknackt sei, die Mannschaft unflexibel und von Spiel zu Spiel schlechter spielen würde.

Die wichtigsten Statistiken zeigen ein ganz anderes Bild (lässt man außen vor, dass im Fußball nur die Tore zählen):

An den ersten drei so sehr gefeierten Spieltagen lauteten die Bayern-Statistiken: Insgesamt 69:29 Torschüsse, davon 30:11 auf das Tor. Dies ergibt durchschnittlich 23:10 Torschüsse pro Spiel, davon 10:4 auf das Tor. Ballbesitz in diesen drei Partien: durchschnittlich 65,3%.

Hätten die Bayern in den folgenden vier sieglosen Spielen so viel schlechter gespielt, wäre der Code des FCB-Spiels dechiffriert worden, müssten diese Werte in diesen Spielen entsprechend schlechter sein. Das Gegenteil ist der Fall:

Die Statistiken aus den Spielen gegen Gladbach, bei Union, gegen den VfB und in Augsburg:

Gesamt: 92:29 Torschüsse, 38:12 davon auf das Tor. Durchschnittlich: 23:7 – 10:3 – 71,8% Ballbesitz. Das bedeutet sogar noch einmal eine Steigerung zu den ersten drei erfolgreichen umjubelten Spielen.

Wer die Spiele gesehen hat, weiß, dass darunter extrem viele hochkarätige Chancen waren. Viele – ohne Torabschluss, knappe Abseitstore – fallen nicht einmal in die Statistik. Die gesamte zählbare Bilanz aus diesen Spielen: 4:5 Tore! Nur jeder 23ste(!) Schuss fand den Weg ins gegnerische Tor. Die Torhüter der Gegner zeigten pro Spiel im Durchschnitt neun Paraden – darunter auch zahlreiche Weltklasseparaden. Manuel Neuer sollte man dagegen nicht vorwerfen, dass er in diesen vier Partien nur sieben von 12 Bällen hielt, die auf sein Tor kamen.

Spielglück / Spielpech

Der Fußballweise Andy Brehme hat einmal folgenden legendären Spruch vom Stapel gelassen: „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß…“ Stimmt – und trifft auf den aktuellen BL-FCB absolut zu.

Hochüberlegenes Spiel gegen Gladbach, VAR erkennt ein eigentlich absolut reguläres Tor ab, Gegner geht mit der ersten Chance beim ersten FCB-Fehler in Führung.

Union geht nach einer katastrophalen Freistoß-Fehlentscheidung in Führung.

Last-Minute-VAR-Elfmeter gegen den VfB.

Der Augsburger Spieler will die weite Flanke vor dem 1:0-Siegtreffer ganz offensichtlich mit dem Oberschenkel stoppen, macht dies aber derart stümperhaft, dass daraus eine geniale Torvorlage wird – Wahnsinn!

In allen vier Spielen hielten die gegnerischen Torhüter überragend bis Weltklasse. In vier Spielen am Stück! Übrigens auch der Torhüter von Viktoria Köln im Pokalspiel. Und Inter-Torhüter Onana zeigte die meisten Torwartparaden in einem Champions League Spiel seit über einem Jahr. Ist das normal?

Yann Sommer und Ginkiewicz sind für ihre nicht selten kapitalen Böcke bekannt, jedoch nie gegen Bayern. Und in zwei Wochen kommt Bayer Leverkusen mit Lukas Hradecky nach München – Mensch, wie viele katastrophale Fehler hat der schon in dieser Saison begangen …

Statistik-Vergleiche mit anderen  Spitzenmannschaften

National hat der BVB zwar Verletzungspech, rumpelt sich aber – zumindest vorübergehend – an die BL-Tabellenspitze – mit vier 1:0-Siegen und zwei desaströsen Niederlagen.

Statistiken BVB nach 7 BL-Spieltagen:

92:76 Torschüsse – 31:27 aufs Tor (beide Bilanzen erst seit dem gestrigen S04-Spiel positiv) – 55,7% Ballbesitz.

Die internationale Konkurrenz, die der Bundesliga die Toptorjäger weggeschnappt hat.

Manchester City – 7 PL-Spiele – 23:6 Tore – 17 Punkte

Gesamt 118:40 Torschüsse (durchschnittlich 17:6), auf das Tor 44:13 (6:2) – 70,2% Ballbesitz.

FC Barcelona – 6 Spiele La Liga – 18:1 Tore – 16 Punkte

Gesamt 119:36 Torschüsse (20:6), auf das Tor 46:15 (8:3) – 66% Ballbesitz.

Die Katalanen spielten bislang allerdings ausschließlich gegen Gegner aus der unteren Tabellenhälfte, darunter die aktuell drei Letzten. Halfen die gegnerischen Torhüter nicht mit, taten es die Schiedsrichter (inkl. VAR): Beim gestrigen 3:0-Heimsieg gegen den Tabellenletzten Elche, welcher fast die gesamte Partie in Unterzahl spielen musste, waren die ersten beiden Tore eigentlich knapp abseits …

Der FC Bayern hat im Vergleich mit allen genannten Teams mehr Chancen pro Spiel, mehr Schüsse abgegeben.

Fazit

Die Nerven behalten, FC Bayern! Und zwar der gesamte Verein!

Bayern muss versuchen aus dieser Ergebniskrise zu kommen. Das Spielglück – siehe das CL-Spiel gegen Barca – wird dem FCB auch in der Bundesliga wieder einmal zuwinken, dann wird auch die mentale Blockade vor dem Tor geknackt werden und es wird dann auch wieder Spiele wie in Frankfurt und Bochum geben. Denn auch nicht jeder BL-Torhüter wird Weltklasseform zeigen und dabei zusätzlich so viel (Torhüter-)Dusel wie Sommer & Co haben!


Titelbild: Leroy Sané bei einer der vergebenen Großchancen in Augsburg.


Kleines Update am 19.09.2022, 16:00

Bei einem internationalen Vergleich darf natürlich der aktuelle CL-Sieger aus Madrid nicht fehlen. Real Madrid ist aktuell die einzige Mannschaft in Europas Top4 Ligen, die noch eine „weiße Weste“ besitzt. Nach dem gestrigen Derby-Sieg gegen Atlético lautet die „königliche Bilanz“ nach 6 Spieltagen in La Liga:

18 Punkte – 17:6 Tore – 57,6% durchschnittlicher Ballbesitz (in 3 von 6 Partien hatte der Gegner mehr Ballbesitz) – 114:65 Torschüsse (pro Spiel 19:11) – davon aufs Tor 43:22 (7:4).

Die Bayern haben schlichtweg aktuell ein Effizienzproblem gegenüber all diesen Teams.

Veröffentlicht von fcbayerntotal

Admin und Autor von FC Bayern Total

3 Kommentare zu „FC Bayern in der (Ergebnis-)Krise – ja, leider! Ein Grund für Panik & Kurzschlusshandlungen – NEIN, definitiv nicht!

  1. Ich gebe dir Recht. Die aktuelle Krise liegt auch mMn weniger am Trainer als vielmehr an fehlender Inspiration vor dem Tor. Hätten Gnabry (gg. VfB, beim 2:1), Mané und/oder Sané (gg. Augsburg, beim 0:0) bei ihren grossen Chancen getroffen, hätte heute niemand von einer Krise gesprochen.
    Ich gebe zu, dass ich mit der Leistung der Mannschaft in den letzten Bundesligaspielen nicht ganz zufrieden bin, aber trotzdem hatten wir genug Grosschancen (das sagte auch Flick). Nagelsmann muss vorerst bleiben, aber er und die Mannschaft müssen in den nächsten Bundesligaspielen liefern.

    1. Ich gehe sogar weiter und sage, Nagelsmann MUSS lang-/längerfristig bleiben, selbst wenn sich kurzfristig nicht der erhoffte / erwartete Erfolg einstellt. Er ist der richtige Trainer und der FC Bayern MUSS endlich wieder Kontinuität auf dem Trainerposten schaffen …
      In den letzten 6 Jahren: Ancelotti, (ganz kurz) Sagnol, Heynckes, Kovac, Flick, Nagelsmann …

      Mit einer Entlassung verschafft man auch immer wieder den Spielern ein Alibi. Dass man die Arbeitsverhältnisse mit Ancelotti und Kovac beendet hatte, war ok. Die haben nicht zum Verein, zur Mannschaft gepasst. Bei Nagelsmann sehe ich es anders …

      1. So weit würde ich jedenfalls nicht gehen (stand jetzt). Nagelsmann muss erst beweisen, was er kann. Was er bisher gezeigt hat, ist nicht überzeugend genug. Der richtige Trainer für den FC Bayern ist seit Jahrzehnten nur derjenige, der erfolgreich ist.

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