Salihamidzic & Kahn stellen Nagelsmann frei – auf eine für den FC Bayern unwürdige Art und Weise

Kommentar von Petersgradmesser

Ich bin aktuell nicht in Deutschland, aufgrund der heutigen Möglichkeiten erreichten mich jedoch gestern Abend ab ca. 22:00 im 1-Minuten-Takt Meldungen, die eine völlig überraschende Entlassung vom FCB-Chefcoach Julian Nagelsmann zum Inhalt hatten. Es wurde dabei des Öfteren auf die Spitzenpartie gegen den BVB am 1. April hingewiesen – und so dachte ich ganz spontan aufgrund der Absurdität der Meldung an einen ziemlich komischen makabren Aprilscherz, womit ich ganz offensichtlich nicht alleine war.

Nachdem der Verein, wie in solchen Situationen Usus, komplett auf Tauchstation war, sickerte immer mehr durch, dass der italienische(!) Transferspezialist und -flüsterer Fabrizio Romano den gesamten deutschen Boulevard aufmischte bzw. mit der Information belieferte, dass der FCB den völlig ahnungslosen Julian Nagelsmann frei gestellt hätte und mit Thomas Tuchel bereits einen Nachfolger präsentieren könnte. Im Fußballnetz verbreitete sich diese Meldung wie ein Lauffeuer. Dennoch bestand immer noch die Hoffnung, dass das schlichtweg Medienquatsch ist, gerade die BILD hatte aus der letzten Zeit noch ein paar Hühnchen mit Nagelsmann zu rupfen.

Das Netz eskalierte mittlerweile. Natürlich hat Nagelsmann auch Feinde unter den Bayernfans, aber die Solidarität einer ganz massiven Mehrheit der FCB-Fans (Stand jetzt 66% laut einer Umfrage des Kicker) stand hinter ihm und versteht nach wie vor die Entlassung nicht. Die meisten waren ob der Art und Weise der Vereinsverantwortlichen nahezu empört: Das Wort „Schande“ fand einen fast inflationären Gebrauch, gefolgt von „das ist nicht mehr mein Verein“, „ich habe gerade meinen Vereinsaustritt nach xx Jahren eingeleitet“ und wüsten Beschimpfungen in Richtung Sportvorstand Hasan Salihamidzic, den die Medien als Drahtzieher der Entlassung ausgemacht haben.

Der FC Bayern brauchte dann heute tatsächlich bis 17:45, um auf der Vereins-Website mit einer Pressemitteilung den Sachverhalt zu präzisieren – ein unwürdiges Verhalten. Alle Medien schienen informiert, der Verein fast einen Tag auf Tauchstation.

Unter der Headline „FC Bayern stellt Julian Nagelsmann frei – Thomas Tuchel wird neuer Trainer“ erklären sich Salihamidzic und der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn.

Brazzo: „Das ist die schwierigste Entscheidung in meiner Zeit als sportlich Verantwortlicher des FC Bayern gewesen. Ich habe zu Julian vom ersten Tag an ein offenes, vertrauensvolles, freundschaftliches Verhältnis gehabt. Ich bedauere die Trennung von Julian. Aber nach gründlicher Analyse der sportlichen Entwicklung unserer Mannschaft speziell seit Januar und mit den Erfahrungswerten der Rückrunde in der Vorsaison haben wir jetzt gemeinsam entschieden, Julian freizustellen. Ich bin Julian sehr dankbar für das, was er für den FC Bayern getan hat und wünsche ihm alles Gute.

Kahn: „Als wir Julian Nagelsmann im Sommer 2021 für den FC Bayern verpflichtet haben, waren wir überzeugt, mit ihm langfristig zusammenzuarbeiten – und dies war auch bis zuletzt das Ziel von uns allen. Julian teilt unseren Anspruch, erfolgreichen und attraktiven Fußball zu spielen. Nun sind wir aber zu der Erkenntnis gekommen, dass sich die Qualität unseres Kaders – trotz der Deutschen Meisterschaft im vergangenen Jahr – zunehmend seltener gezeigt hat. Nach der WM haben wir immer weniger erfolgreich und attraktiv gespielt, die starken Leistungsschwankungen haben unsere Ziele in dieser Saison in Frage gestellt, aber auch über diese Saison hinaus. Deshalb haben wir jetzt reagiert. Persönlich und im Namen des FC Bayern möchte ich mich bei Julian und seinem Trainerteam bedanken und allen viel Glück für die Zukunft wünschen.

In der Mitteilung steht auch geschrieben, dass die beiden zu dieser Entscheidung in Abstimmung mit dem Präsidenten Herbert Hainer kamen. Von diesem gibt es kein Statement, allerdings hatte er sich noch vor wenigen Tagen demonstrativ hinter Nagelsmann gestellt. 

Ganz ehrlich: Die Argumente von Kahn und Salihamidzic sind nicht völlig aus der Luft gegriffen, aber es gibt mindestens doppelt so viele – nicht nur bei der Zahl der Fans – Argumente, die dagegen sprechen. Letztendlich ist das eigentlich Verwerfliche am Handeln der FCB-Verantwortlichen die Art und Weise, wie alles abgelaufen ist. Korrekt wäre gewesen, sich mit Nagelsmann nach dem Leverkusen-Spiel an einen Tisch zu setzen, um ihn über die Gedankengänge zu informieren. Ihn einfach in der Länderspielpause zu überrumpeln – nach dem Motto „Tuchel ist gerade frei, da mussten wir zugreifen!“ – ist des Rekordmeisters absolut unwürdig.

Ich selbst war unter anderem bei der Europapokal-Endspiel-Niederlage 1987 gegen Porto in Wien (1:2 nach 1:0) im Stadion, auch beim verlorenen „Finale dahoam„, aber das menschenverachtende Handeln der FCB-Verantwortlichen gegenüber Nagelsmann ist für mich als jahrzehntelangem FCB-Fan und -Mitglied eine noch viel größere Schmach. Ich schäme mich aufrichtig.

An Herrn Salihamidzic, den ich als Spieler wegen seines unglaublichen Ehrgeizes besonders mochte: Geht nun das Experiment Tuchel schief, verliert der FCB am 1. April gegen den BVB und beendet die Saison titellos, dann erwarte ich von ihm so viel Anstand und Konsequenz, dass der Hire-and-fire-Sporvorstand ohne das geringste Murren und Aufmucken selbst seinen Hut nimmt und geht. Von Oliver Kahn würde ich ähnliches erwarten …

Veröffentlicht von fcbayerntotal

Admin und Autor von FC Bayern Total

9 Kommentare zu „Salihamidzic & Kahn stellen Nagelsmann frei – auf eine für den FC Bayern unwürdige Art und Weise

  1. Das hätte ich nie erwartet. Julian hat gut gearbeitet und überall sehr gut dabei. Das wäre bei Ulli nie passiert. Anstand und Würde war da nicht dabei. Julian da kann man sich nur entschuldigen bei dir. Ich dachte an das Triple aber jetzt nicht mehr. Und Tuchel passt nicht zu uns. Xavi und Klopp ja.

  2. „Unwürdig“ ist noch eine sehr harmlose galante Ausdrucksweise.
    In meinem FCB-Umfeld sind nahezu alle entsetzt und maßlos enttäuscht. Eine völlig unerwartete unnötige Keule.
    Brazzo ist jetzt extremst unter Druck. Funktioniert seine Neuverpflichtung Tuchel nicht (absolut nichts gegen ihn, er ist ein exzellenter Trainer), dann sollten tatsächlich auch seine Tage beim FCB gezählt sein.

  3. Ich muss da meinen beiden Vorrednern widersprechen. Man sollte das Zurückschauen bleiben lassen. Es wird Gründe für das Nagelsmann-Aus gegeben haben. Ich hätte ihn sowieso zum Saisonende abgeschrieben (außer für den unwahrscheinlichen Fall des CL-Gewinns).

    Was steht denn auf der Habenseite? Thomas Tuchel hat bis Juni 2025 unterschrieben. Ich könnte mir keinen besseren vorstellen.

    Ich bin jetzt deutlich motivierter, mir das Duell gegen Man City anzuschauen als mit Nagelsmann.

    1. @ „Dürnberger-Verschnitt“ (der willst du doch sein, oder?):
      Hast du unsere Aussagen überhaupt verstanden? Was hat das mit „Zurückschauen“ zu tun? Hier geht es um Menschlichkeit, Anstand, Niveau(losigkeit) – ist nicht bei allen gefragt, das ist klar.

      „Ich hätte ihn sowieso zum Saisonende abgeschrieben.“ Du bist also tatsächlich der Bernd? Kandidat für den Vorstand? Hier kann man tatsächlich noch dazu lernen 😉

      1. Nagelsmann ist seit Donnerstag Abend Geschichte, @comeback. Man kann jetzt die Art und Weise seiner Entlassung kritisieren. Oder man kann Verschwörungstheorien spinnen, warum es plötzlich so eskaliert ist. Beides spannende Themen. Bringen uns aber nicht weiter.

        Ich wundere mich einfach, dass niemand aktuell Lust verspürt, das Positive an der Geschichte zu sehen (nicht nur hier im Forum, das ist ja auf jeder anderen Plattform das Gleiche). Bayern München hat gerade einen ÜBERRAGENDEN Trainer verpflichtet. Ist das nix? Wer wäre denn besser?

        Ich muss zugeben, dass mich Fußball seit einiger Zeit immer weniger interessiert. Und zu meinem Verein spüre ich seit einiger Zeit, zum ersten Mal in meinem Leben, – und das sind inzwischen ein paar Jährchen – eine kritische Distanz. Das ist jetzt aber vorbei: Den nächsten Spielen fiebere ich entgeen ..

      2. @Wipf: Manchmal geht es einfach um mehr als „nur Erfolg“ …
        So wie du dich selbst darstellst, machst du dich als Diskussionspartner übrigens nicht besonders interessant (bzw. sympathisch): Du hast seit Jahren eine Distanz zu „deinem Verein“ und findest ihn gerade in dem Moment wieder interessant, in dem dieser andere Fans moralisch schockt. Puh … echt!

      3. Wenn Du nicht mit mir diskutieren willst, @comeback, musst du das auch nicht.

        Aber eins hab ich schon noch, das ich loswerden muss: Dass Tuchel genau der richtige ist sieht an m.E. auch daran, dass er den Verein ausgerechnet jetzt übernimmt. Vor den Spielen gegen Dortmund und gegen ManCity. Verliert er sie, hat er gleich den größtmöglichen Gegenwind („Welpenschutz“ bekommt man in München bekanntlich nicht). Er hätte ja auch sagen können, was, jetzt, nein lieber im Sommer, ich muss das Team ja erst kennenlernen ..

        Ich gehe mal von folgendem Szenario aus: Gegen den BVB muss es die Mannschaft gewinnen, da kann Tuchel maximal ans Selbstbewußtsein apellieren, für alles andere ist die Zeit zu kurz. Aber gegen ManCity, mit dem eitlen Pep, da werden wir eine Meisterleistung sehen. Nicht umsonst hat Tuchel zuletzt in England trainiert, er kennt also den Gegner. Und gegen ManCity hat er schon bei letzten CL-Treffen ganz gut ausgeschaut ..

  4. Zuerst dachte ich es ist ein vorgezogenen Aprilscherz, aber nein es ist real, ich kann nur den Kopf schütteln, ich bin kein Freund von Trainer Tuchel, zur gelieferten Leistung von TT, mit PSG wäre jeder Meister geworden. Bin gespannt was passiert wenn es nicht läuft wie es soll.

  5. Ich verstehe es halt nicht. Wir haben noch gute Chancen auf das Thripple. Die einzige erklärung die ich habe ist, das Tuchel gerade jetzt frei war… Aber das wäre halt ultra peinlich, deswegen das Risiko eines Trainer Wechsel zu begehen. Ganz zu schweigen von Moralischen Aspeckt.

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