Am 28. Mai 1975 standen die Bayern zum zweiten Mal in Folge im Endspiel des Europapokals der Landesmeister. Obwohl sie Titelverteidiger waren und sechs amtierende Weltmeister in ihren Reihen hatten, waren sie im Pariser Prinzenpark gegen den englischen Meister Leeds United nur Außenseiter. Die Bayern spielten eine schwache Bundesligasaison (10. Platz in der Abschlusstabelle) und auch die Leistungen im Europapokal waren nicht mehr so brillant wie in der Vorsaison gewesen. Aber sie waren routiniert und clever – dies war auch ihre Trumpfkarte im Finale.
Jenes Finale gegen Leeds United gewann im Nachhinein leider auch einen Ruf, über den sich die Bayern und ihre Fans seit vielen Jahrzehnten wenig freuen.
In einem SZ-Beitrag aus dem Jahr 2012 http://www.sueddeutsche.de/sport/alle-cl-endspiele-des-fc-bayern-dusel-holzpfosten-und-nachspielzeit-alptraeume-1.1359300-3, in welchem vor dem „Finale dahoam“ alle Europapokalendspiele der Bayern kurz zusammengefasst wurden, steht über das Endspiel vom 28. Mai 1975 steht folgendes geschrieben:
„Für manche ist das Finale gegen Leeds United im Prinzenpark von Paris die Geburtsstunde des Bayern-Dusels. Die Münchner sind nach den Ausfällen von Björn Andersson und Uli Hoeneß während der Partie geschwächt, haben viel Glück bei zwei Schiedsrichterentscheidungen (Elfmeter und Abseits) und treffen wie aus dem Nichts zweimal: Roth und Müller – 2:0.“
Leeds United lief im Finale von 1975 vor 50000 Zuschauern – davon 10000 Bayernfans und 15000 Engländer – 70 Minuten lang eher ungestüm als technisch brillant an. Die Angriffswellen hatten etwas Brachiales, typisch für den damaligen englischen Fußballstil.
Zu den beiden angesprochenen Szenen: Den Elfmeter konnte, musste man wohl sogar geben. Aber der Schiedsrichter hatte damals keinen VAR zur Verfügung. Aus den meisten Perspektiven ist das Foulspiel von Franz Beckenbauer – wer traute dem Kaiser damals schon so etwas zu 😉 – nicht zu erkennen, aus einer eindeutig. Die Abseitsbewertung war dagegen nach damaliger Regelauslegung absolut regelkonform und eigentlich unstrittig. Zustimmung zum angedeuteten Spielverlauf: Die Bayerntore wurden tatsächlich aus dem Nichts erzielt und stellten den Spielverlauf auf den Kopf.

Gehen wir aber auch auf die fast schon als „Nebensatz“ einzuordnende SZ-Info „Die Münchner sind nach den Ausfällen von Björn Andersson und Uli Hoeneß während der Partie geschwächt…“ ein: Natürlich waren die Bayern dadurch geschwächt, die Ausfälle passierten sehr früh in der Partie. Sepp Weiß kam bereits in der 4. Spielminute für Björn Andersson ins Spiel, Klaus Wunder in der 42. für Uli Hoeneß – und damals waren nur zwei Auswechslungen pro Spiel erlaubt. Gerade die enorme Geschwindigkeit und Konterstärke von Uli Hoeneß wären beim damaligen Spielverlauf extrem wichtig gewesen. Der heutige Ehrenpräsident des FC Bayern kam aber nie ins Spiel, weil er schon sehr früh im Spiel angeschlagen war.

Zur Behauptung, dieses Endspiel wäre so etwas wie die Geburt des „Bayern-Dusels“ gewesen: Die frühen Verletzungen der beiden Bayernspieler waren einzig und allein die Resultate von extrem brutalen Fouls der Engländer. Der walisische Nationalspieler Terry Yorath spielte dabei eine unrühmliche Hauptrolle. Andersson, der den Spielmacher von Leeds Billy Bremner hätte stoppen sollen, erlitt bei der rüden Attacke des Walisers ganz zu Beginn des Spiels einen Totalschaden im Knie: Der Meniskus war kaputt, sämtliche Bänder (Innen-, Außen- und Kreuzbänder) waren gerissen. Nach heutigen Maßstäben hätte es bereits nach gut drei Minuten des 1975er Finals einen Platzverweis für Leeds United geben müssen, einen weiteren in der ersten Halbzeit geben können. Und wie wäre das Spiel dann verlaufen? Einen Schiedsrichter-Bonus hatten die Bayern damals ganz gewiss nicht.
Für die Bayernfans, die heute über die Ammenmärchen von Bayerndusel und Bayernbonus mehr schmunzeln können als dass sie sich noch ärgern: Ist es nicht irgendwie beruhigend, dass bereits die „Geburtsstunde des Bayerndusels“ so etwas wie einem Geburtsfehler entsprungen ist. 😉
Für die jüngeren Bayernfans: Ab dem Finale von 1975 wurden die Bayern international zwar respektiert, aber auch wenig geliebt. Hauptgrund dafür war zum einen ihre eher routinierte als brillante Spielweise, zum anderen eben dieses Märchen von Bayerndusel und Bayernbonus. Auch heute ist die Meinung verbreitet, dass die Finalsiege von 1974-76 eher glücklich, dagegen die Niederlagen von 1982, 1987, 1999 und 2012 sehr unglücklich waren.
Einspruch, denn: Im ersten Finale von 1974, welches die Bayern laut Meinung vieler nur durch den Glücksschuss von Katsche Schwarzenbeck in der 120. Minute überstanden, wurde Gerd Müller in der 72. Minute völlig zu Unrecht wegen eines angeblichen Foulspiels ein Tor aberkannt. Im Finale von 1976 gegen St. Etienne das gleiche Szenario gleich in der Anfangsphase des Spiels – fälschlicherweise wurde dort das Müller-Tor wegen einer angeblichen Abseitsposition aberkannt. Zudem waren beide Spiele insgesamt eher ausgeglichen – glücklich wäre weder ein FCB-Sieg im ersten Spiel 1974 nach 90 Minuten gewesen noch war es der von 1976 …
1982 wurde dem hoch verdienten Ausgleichstreffer von Dieter Hoeneß in der 87. Minute gegen Aston Villa die Anerkennung wegen Abseits verwehrt – man ahnt es schon fast: zu Unrecht!
Zurück zum Spiel am 28. Mai 1975:
Nicht zuletzt dank eines großartig aufgelegten Sepp Maier, der damals seinen Strafraum beherrschte wie kaum ein anderer Torwart, ging es mit 0:0 in die Halbzeit.

In der zweiten Hälfte drückte Leeds United weiter nach vorn, die Angriffsbemühungen wurden jedoch immer planloser, die Bayern souveräner. Und in der 72. Minute nutzte Franz „Bulle“ Roth einen Konter zum 1:0 für Bayern und machte damit seinem Namen als „Mister Europacup“ alle Ehre. Zehn Minuten später traf Gerd Müller nach überragender Vorarbeit von Jupp Kapellmann auf dem rechten Flügel zum 2:0 – die Entscheidung!


Nun rasteten die Engländer auf den Tribünen aus, warfen Sitzschalen auf das Spielfeld und versuchten den Platz zu stürmen. Auch die Leeds-Spieler auf dem Rasen verloren teilweise die Nerven. Zumindest Norman Hunter hätte nach seiner Attacke gegen Kapellmann noch des Feldes verwiesen gehört. Glücklicherweise konnte das Spiel zu Ende gebracht werden und der FC Bayern verteidigte den Titel als Europapokalsieger der Landesmeister.




Die strahlenden Sieger:



Anschließend randalierten Leeds United Anhänger in Paris, warfen bei zahlreichen Autos und Bussen die Scheiben ein. Für die Vorkommnisse im Stadion sperrte die UEFA den Verein für sämtliche Europapokalwettbewerbe zunächst für vier Jahre – später wurde die Sperre auf zwei Jahre reduziert.
Auch die Mannschaft von Leeds benahm sich daneben und erschien nicht zum offiziellen Bankett nach dem Spiel im Luxushotel de Crillon. Der normalweise in der Beurteilung des Gegners zurückhaltende Beckenbauer hierzu: „Leeds war die unfairste Mannschaft, gegen die ich je gespielt habe. Sie und ihre unmöglichen Fans passen zusammen. Die sollen künftig auf ihrer Insel bleiben und uns nicht mehr belästigen.“ Rumms, das hatte gesessen! 😉
Der Vater des Erfolgs, Bayerntrainer Dettmar Cramer, blieb auch im Augenblick des großen Triumphes ernst. Auf dem Bankett: „Es berührt mich sehr, dass Björn Andersson und Uli Hoeneß so schwer verletzt wurden. Auch um Johnny Hansen, der immer noch auf der Intensivstation liegt, mache ich mir große Sorgen…“ Typisch Dettmar Cramer. (Hansen war im Vorfeld des Finales schwer erkrankt)


Eine Kurzzusammenfassung des Endspiels von 1975 auf der Facebookseite FC Bayern Legends zum genießen:
Titelbild: Die nach der Schlacht strahlenden Sieger:
Oben von links nach rechts: Franz Roth, Bernd Dürnberger, Franz Beckenbauer, Klaus Wunder, Sepp Weiß, Gerd Müller, Conny Torstensson.
Unten von links nach rechts: Jupp Kapellmann, Sepp Maier, Rainer Zobel, Schorsch Schwarzenbeck.