Die Saison 1978/79 war – obwohl sportlich in der glorreichen Vereinsgeschichte eher unbedeutend – eine legendäre, verrückte. Nach dieser Spielzeit sollte beim FC Bayern alles anders sein. Dazu passend das Saisonfinale am 9. Juni 1979: Die Bayern traten beim bereits feststehenden Meister Hamburger SV an, vermiesten diesem mit einem 2:1-Sieg die Party, welche haarscharf an einer Katastrophe vorbeischrammte, und wussten beim Abpfiff nicht, dass es das letzte Spiel einer großartigen FCB-Legende sein sollte.
Schwache Vorsaison – es konnte nur besser werden!
Die Saison 1977/78, die erste ohne den nach New York abgewanderten Kaiser Franz Beckenbauer, war das schlechteste Jahr des FCB in seiner Bundesligageschichte – Tabellen-12. mit 32:36 Punkten, zwischenzeitlich sogar auf einen Abstiegsplatz abgerutscht, ohne Chance auf die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb. Erstaunlicherweise wurde der FCB-Kapitän Sepp Maier trotz 64 BL-Gegentoren zu Deutschlands Fußballer des Jahres 1978 gewählt (Vorher auch schon 1975 und 1977).
Das Bild zeigt den Sepp mit dem FCB-Präsidenten Wilhelm Neudecker im Oktober 1978, als ihm dieser zu seinem 450. Bundesligaspiel gratuliert. Nur wenige Monate später wäre so ein Szenario nicht mehr denkbar gewesen.

Zum großen Hoffnungsträger war Paul Breitner ausgerufen worden, der zu Saisonbeginn für eine damalige BL-Rekordtransfersumme von 1,75 Millionen DM von Eintracht Braunschweig (zurück-)geholt worden war.
Karriereende Uli Hoeneß
Uli Hoeneß war dagegen, obwohl er die Saison 1977/78 noch überragend abgeschlossen hatte (u.a. 6 Tore an den letzten 10 Spieltagen), in der Saison 1978/79 unter Trainer Gyula Lorant nur noch Einwechselspieler. Am 10. Spieltag, am 21. Oktober 1978, absolvierte er in Stuttgart sein letztes Pflichtspiel im Bayerntrikot. Es war erst sein 4. Saisonspiel, alle als Einwechselspieler. Ein Wechsel zum HSV scheiterte aufgrund seiner Probleme mit dem Knie. Seine letzte Station als aktiver Fußballspieler war der 1.FC Nürnberg, für den er 1978/79 noch 11 Spiele absolvierte. Uli beendete seine Karriere frühzeitig noch während der Saison, der Club stieg zum Saisonende ab. Aber er sollte ja bekanntermaßen sehr bald ein grandioses FCB-Comeback in anderer Position feiern …
Gekränkter Bomber geht in die USA
Noch schlechter sollte es in jener Saison einer anderen FCB-Legende ergehen: Gerd Müller! Dazu ist in Die Bayern Chronik von Dietrich Schulze-Marmeling zu lesen:
„Am 3. Februar 1979 war der „Bomber“ im Frankfurter Waldstadion zum ersten Mal überhaupt in seiner Bundesligalaufbahn ausgewechselt worden. Acht Minuten vor Abpfiff nahm ihn Csernai wegen „Formschwäche“ aus dem Spiel. Zudem warf der Trainer dem Torjäger vor, er habe „gegen die Mannschaft“ gespielt. Der erzürnte Star: „Das lasse ich mir nicht gefallen.“ Müller vermutete einen Racheakt, „weil ich bis zum Schluss zu Trainer Lorant gehalten habe. Für mich ist Csernai gestorben.“ … Zehn Tage nach diesem Streit wechselte der 33-jährige Torjäger ablösefrei nach Fort Lauderdale in die USA.
Paul Breitner, der neue „Leithammel“, war auch an Müllers Weggang nicht ganz schuldlos. K.H. Rummenigge: „Mit Bomber Gerd Müller (…) gings rapide bergab. Er verfiel wie ein Denkmal aus bröselndem Sandstein. Breitner hetzte gegen ihn. So sehr, dass Müller einem Freund gestand: „Ich habe schon Angst, wenn ich ihn nur sehe.“ In seiner letzten Saison im Bayern-Dress kam Müller nur noch auf 19 Einsätze, in denen er neun Tore erzielte. Erstmals seit vielen Jahren war ein anderer als Gerd Müller erfolgreichster Bayern-Torschütze: Karl-Heinz Rummenigge, der es auf 14 Treffer brachte.“
Neben den interessanten Einblicken in die damalige FCB-Hierarchie ist zu bemerken, dass Gerd Müller in seinen 13 kompletten Bundesliga-Jahren (1965-78) immer(!) bester FCB-Torschütze war. In der katastrophalen Vorsaison 1977/78 war er mit 24 Toren sogar noch einmal – zum insgesamt siebten Mal – Torschützenkönig der Liga.
Präsidentenlegende Neudecker tritt zurück
Es ging weiter Schlag auf Schlag: Im nächsten Bundesligaspiel am 10. März 1979 (die Bundesliga machte wegen des harten Winters im Februar / März 1979 eine fünfwöchige Pause!) zerlegte Arminia Bielefeld unter Trainer Otto Rehhagel den FCB im heimischen Olympiastadion vor lediglich 11.000 Zuschauern mit 4:0.
Die Enttäuschung über den gesamten Saisonverlauf war riesengroß. Der heutige Ehren-Präsident Wilhelm Neudecker drohte nach jenem desaströsen Spiel mit dem bei den Spielern extrem unbeliebten Trainer Max Merkel. Neudecker einigte sich mit den „Anführern“ der Mannschaft (Paul Breitner, Sepp Maier) kurzfristig scheinbar darauf, dass Coach Pal Cernai bleiben dürfe, wenn aus den anstehenden beiden Auswärtspartien drei Punkte (bei der damaligen 2-Punkte-Regelung) geholt werden würden. Jedoch schon nach dem 0:0 in Braunschweig schien sich Neudecker nicht mehr an die Vereinbarung halten zu wollen. Die Mannschaft rebellierte – Neudecker schmollte und trat zurück. Die längste zusammenhängende Präsidentschaft – 17 Jahre von 1962 bis 1979 – in der Geschichte des FCB war beendet.
Der Rest ist „legendäre FCB-Geschichte“: Völlig entfesselte Bayern stürmten am darauf folgenden Wochenende den Bökelberg und verpassten beim 7:1 den Gladbachern eine „historische Klatsche“. Die Bayern spielten bis zum Saisonende noch eine gute Serie und landeten auf dem 4. Platz, der – nach einem Jahr Pause in Europa – die Qualifikation für den UEFA-Pokal bedeutete.
Uli Hoeneß Bayern-Manager
Neudeckers Nachfolger war „Champagner-Willy O. Hoffmann. Dieser tat gleich etwas sehr Vernünftiges und installierte auf der vakanten Managerposition (Robert Schwan ging mit Franz Beckenbauer in die USA) den 27-jährigen Uli Hoeneß. Am 1. Mai 1979 startete der Uli durch! Fairerweise muss man jedoch sagen, dass diese Idee noch von Neudecker stammte.
FCB vermiest dem HSV die Meisterfeier, die beinahe in einer Katastrophe endet
Das Spiel und die Ereignisse am 9. Juni 1979:
In der Aufstellung – Sepp Maier – Udo Horsmann; Klaus Augenthaler; Schorsch Schwarzenbeck; Jupp Kapellmann – Kurt Niedermayer; Paul Breitner; Branko Oblak; Bernd Dürnberger – Norbert Janzon; Kalle Rummenigge – ließ Pal Csernai die Bayern zum Saisonfinale auflaufen.
Auf Hamburger Seite spielten in der Meistermannschaft u.a. Rudi Kargus, Manfred Kaltz, Jimmy Hartwig, Felix Magath, Kevin Keegan und Horst Hrubesch. Betreut wurde der HSV vom ehemaligen FCB-Meistertrainer Branco Zebec.
Als Meister der Saison 1978 / 79 hatte der HSV schon eine Woche lang festgestanden, der Verfolger VfB Stuttgart (1:4-Heimniederlage gegen Köln am 33. Spieltag) konnte die Hamburger nicht mehr einholen. Das letzte Spiel der Saison gegen Bayern sollte noch einmal ein rauschendes Fußball-Fest für Hamburger Fans werden. Natürlich war das Volksparkstadion ausverkauft, 60 000 Anhänger wollten ihre Lieblinge feiern. Doch die Bayern erwiesen sich als Party-Crasher und gewannen mit 2:1. Die Torreihenfolge: 73. Minute – 0:1 durch den eingewechselten Willy Reisinger – 78. Minute – 1:1 Kevin Keegan – 80. Minute – 1:2 Kalle Rummenigge.

Die Niederlage war aus HSV-Perspektive nur ein kleiner Schönheitsfehler bei der langgeplanten Zeremonie. Das wahre Drama nahm dagegen Minuten vor dem Schlusspfiff in der Westkurve des Volksparkstadions seinen Anfang, dort wo die treuen HSV-Fans eng zusammengepfercht Spiel für Spiel standen. Der Meisterschafts-Triumph musste gefeiert werden, die Massen wollten aufs Spielfeld, auf der Westtribüne des Hamburger Volksparkstadions brach ein Zaun unter dem Druck zusammen. Menschen purzelten auf die Tartanbahn, andere wurden fast zerquetscht. Während der Meisterehrung landeten Rettungshubschrauber im Volkspark-Stadion. Bilanz: 39 Schwerverletzte, zwei zerfetzte Tore, ein kaputter Zaun – aber zum Glück keine Toten.
Glücklicherweise hatte Schiedsrichter Rainer Waltert das Chaos kommen sehen und geistesgegenwärtig das Spiel ein paar Minuten früher abgepfiffen, um beiden Mannschaften die Chance zur Flucht in die Kabine unter der Ostkurve zu geben.
Dazu auch: https://www.youtube.com/watch?v=cnSGBud5bvk
Bayernsieg in Hamburg Vorzeichen für die Wachablösung in der Folgesaison
Während Hamburg mit dem Schrecken davon kam, deutete der 2:1-Sieg der Bayern beim Meister HSV an, dass mit ihnen mit dem neuen Führungs-Duo Breitnigge nach langer Abwesenheit im Meisterschaftsrennen in der kommenden Saison wieder zu rechnen ist.
Tatsächlich verstärkte der junge Manager Uli Hoeneß den FCB zur Saison 1979/80 mit den Spielern Wolfgang Dremmler, Dieter Hoeneß, Hanne Weiner und Wolfgang Kraus und die Bayern gewannen die Meisterschaft zum damals insgesamt sechsten Mal. Viele weitere sollten folgen.
Das Spiel in Hamburg war das letzte in der überragenden Karriere von Sepp Maier
Was an jenem dramatischen Fußballnachmittag in Hamburg niemand wissen konnte: Es war das letzte Fußball-Pflichtspiel von Sepp Maier. Fünf Wochen später, am 14. Juli 1979, hatte er nach einem Saison-Vorbereitungsspiel in Ulm einen schweren Autounfall.
Dieser Artikel schildert bestens die Dramatik und Tragik der Unfallfolgen für den Sepp:
https://www.n-tv.de/sport/fussball/Sepp-Maier-ist-froh-ueberlebt-zu-haben-article21142519.html
Am 3. Juni 1980 bekam er kurz nach dem für seinen FCB erfolgreichen Saisonfinale sein Abschiedsspiel im Olympiastadion gegen die deutsche Nationalelf, welche wenig später in Italien Europameister wurde.

In diesem Zusammenhang auch lesenswert:
Titelbild: Der Sepp und der Champagner-Willy vor dem Abschiedsspiel
PS: Noch ein ganz Großer des FC Bayern sollte bald seine Karriere beenden müssen: Der ruhige sympathische Schorsch Katsche Schwarzenbeck spielte zwar in jener Saison 1978/79 sämtlich 34 BL-Spiele für den FCB, verletzte sich aber nach dem 2. Spieltag der Folgesaison (18.8.79; 1:1 bei S04) schwerer und zog sich im November desselben Jahres einen Achillessehnenriss zu, so dass er nie wieder in einem Pflichtspiel für seine Bayern auflaufen konnte. Quasi auf dem Sofa wurde er noch 1979/80 und 1980/81 Deutscher Meister.
Was für ein überragender Beitrag zur Zeitgeschichte!
Herzlichen Dank dafür!
Vielen Dank für das große Kompliment.
Was damals innerhalb von zwei Jahren (1977-79) passiert ist, war ja auch Wahnsinn:
Wie 2014 hatte Deutschland 1974 -Jupp Kapellmann eingerechnet – sieben Weltmeister. Paul Breitner verließ den Klub 1974 und kam 1978 wieder zurück, genau in der Phase, in welcher die anderen sechs Weltmeister den Verein verlassen haben oder nicht mehr spielen konnten. Kapellmann, der sich mit Hoeneß nie wirklich verstand, verließ den Verein wegen dem Jungmanager 1979 ebenfalls – zu den Blauen.
Und dann noch Neudecker …