Dreesen hat nicht recht: Das FCB-Transfer-Desaster in Zahlen

Kommentar / Analyse Petersgradmesser

Aus Sicht des FCB-Trainers Thomas Tuchel ist der Kader des Rekordmeisters nach der mit Abstand chaotischsten Transferphase der Vereinsgeschichte nicht wirklich ideal aufgestellt: “Es gibt schon eine kleine Unwucht. Vorne haben wir fast alle Positionen doppelt besetzt. Hinten brauchen wir vielleicht etwas Glück, um durchzukommen. Aber es ist Fakt, dass wir nur sechs Defensivspieler haben. Das ist schon ein bisschen auf Kante genäht. Ich zweifle aber nicht an der Leistungsfähigkeit des Kaders”. Damit hat er die Situation seines Teams für die nächsten gut drei Monate perfekt beschrieben. Dagegen möchte der FCB-Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen keine Kader-Diskussionen aufkommen lassen, er sieht das Team weiterhin top besetzt. Warum das nicht so ganz richtig ist, wird im folgenden erklärt.

Dreesen auch in Richtung Tuchel gerichtet: “Unser Kader ist nach wie vor erstklassig besetzt. Klar, hätten wir Thomas gestern den Wunsch nach einer Sechs zur Verfügung gestellt. Das hat aber leider nicht geklappt. Der Kader ist weiterhin top. Ich sehe überhaupt keinen Grund, nicht optimistisch in die Saison zu gehen.

Der FCB-CEO hat natürlich absolut recht, was die Qualität des verfügbaren Kaders betrifft. Diese ist Weltklasse. Aber es ist gemessen an den bevorstehenden Aufgaben – auch zahlreiche wichtige Länderspiele stehen zusätzlich vor der Tür – der kleineste FCB-Kader seiner nun 59-jährigen BL-Geschichte. Das ist gefährlich.

Transfermarkt.de bietet dazu folgende aufschlussreiche Statistiken an.

Die FCB-Zugänge der Sommer-Transferperiode:

Die FCB-Abgänge:

Die Anzahl der Abgänge übertrifft die der FCB-Zugänge in einem dramatischen Maß. Und dass dies nicht dem zu Beginn der Transferperiode vorgegebenen Ziel entspricht, zeigt auch das finanzielle Saldo der Transferperiode. Man war bereit netto 150 Millionen Euro für die Verstärkung des Kaders auszugeben und erzielte stattdessen ein Transfer-Plus von in diesem Kontext durchaus beachtlichen 18,25 Millionen Euro – und das, obwohl die Einnahmen für die jeweiligen Leihgebühren auf einem beachtlich niedrigen Niveau sind!)*

Dreesen kann sich mit seiner – was die Qualität angeht berechtigten – optimistischen Prognose nicht aus dem Schlamassel des Deadline Day Versagens herausreden. Es gibt für alle Lebensbereiche einen berechtigten Spruch: “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.” Auch wenn die Geschehnisse um Joao Palhinha durchaus bitter bis tragisch – vor allem für den Spieler – waren, liegt der Hauptgrund in der zu späten Aktivität des Vereins.

Noch unverständlicher das Vorgehen auf der Rechtsverteidiger-Position: Joao Cancelo weg, Josip Stanisic zum direkten Meisterschaftskonkurrenten Leverkusen verliehen und Benjamin Pavard als Last-Minute-Transfer verloren. Spät – aber absolut vorhersehbar. Es ist mittlerweile ein offenes Geheimnis, dass nicht sportliche, sondern private Gründe den französischen Weltmeister von 2018 diesen Schritt haben gehen lassen. Auf Bella-Kotchap konnte sich die Transfer-Elefantenrunde des Rekordmeisters dann zu allem Überfluss nicht einigen.

Man hat aus dem zwischenzeitlichen Torwart-Chaos nichts gelernt: Man ließ Alexander Nübel und Yann Sommer ziehen, obwohl ein noch langer Ausfall von Manuel Neuer drohte. Alle Vereine auf diesem Planeten wussten das – was die Ablösesumme jedes einzelnen in Frage kommenden Keepers in dieser geldgeilen Fußballwelt rasant ansteigen ließ.

Josip Stanisic und Ryan Gravenberch hätte man nie ziehen lassen dürfen, dann hätte man aktuell (fast) kein Problem. FCB-CEO Dreesen musste in diesem knallharten Fußballgeschäft auch seiner Unerfahrenheit in diesem speziellen Sektor Tribut zahlen. Tottenham, Inter, Fullham haben ihm gezeigt, wie es funktioniert. Nicht sympathisch, aber im Sinne des eigenen Klubs.

Die Qualität des Kaders ist definitiv überragend, aber in den nächsten Monaten brauchen Tuchel & Co auch sehr sehr viel Glück. Und dann MÜSSEN im Winter die aktuellen Versäumnisse zwingend nachgeholt werden, will man wirklich eine überragende Saison zu Ende spielen. Hoffentlich lässt man dann den neuen sehr kompetent wirkenden Sportdirektor Christoph Freund agieren – ohne dass ihm ein halbes Dutzend Besserwisser hineinredet. Brazzo & Kahn werden aktuell zuhause auf dem Sofa mächtig grinsen …

PS: Auch Thomas Müller blickt optimistisch auf die neue Saison und sieht in dem kleinen Kader vor allem eine Chance für die Nachwuchsspieler vom Campus: “Nehmen wir einfach den Kader, den wir haben. Und da wird mir nicht Angst und Bange. Wir wollen ja auch immer ein bisschen Durchlässigkeit von unten und die gibt es, nur wenn du oben mal eineinhalb Spots offen haben.

Dass genau diese Spieler – mit Ausnahme von Frans Krätzig – alle abgegeben bzw. verliehen wurden, scheint der Thomas nicht mitbekommen zu haben. Die Situation mit dem dünnen Profikader belastet nun übrigens auch sämtliche U-Mannschaften. Die Amateure (U21/U23) werden aller Voraussicht nach eher gegen den Abstieg als um den Aufstieg in der viertklassigen(!) Regionalliga Bayern spielen und sich aus der U19 bedienen … und diese aus der U17. Da schaut man am Saisonende lieber wieder einmal nicht auf die Tabellenplätze!


Update 4. September 2023

Ein Kommentar von einem Jahreskarteninhaber der FC Bayern Amateure zu diesem Beitrag:

Dieser Beitrag hat mich personell erst auf den neuesten Stand gebracht. Sie hauen die Leute im Akkordtempo raus zwecks vermeintlicher Weiterqualifizierung. Der Rest wird zur Schießbude der 4.Liga!”

Dies zur Information an alle die – völlig uninformierten – FCB-Fans, die ob der Situation einen verstärkten Einsatz des Nachwuchses fordern.


)* Nachdem einige Leser den Beitrag bewusst in eine falsche Richtung interpretieren, wird nun in Fettschrift gekennzeichnet, welche Aussage bezüglich der “Zahlen” (Überschrift) die entscheidende ist.

Veröffentlicht von fcbayerntotal

Admin und Autor von FC Bayern Total

Ein Kommentar zu “Dreesen hat nicht recht: Das FCB-Transfer-Desaster in Zahlen

  1. Sehr sehr guter Beitrag, spricht mir aus dem Herzen.
    Leider kapieren viel zu viele solche komplexe Themen und Beiträge nicht – und einmal mehr geben mir die zum Teil unterirdischen Kommentare auf FB recht, dass ich mich dort nicht mehr an Diskussionen beteilige. Ich lese mit (in verschiedenen FCB-Gruppe), denke mir meinen Teil und halte mich lieber zurück.
    Übrigens hat FC Bayern Total in einer FCB-FB-Gruppe eine nahezu erbitterte Feindin (sie ist dort die alles bestimmende Moderatorin). Die betreibt ein ziemlich wüstes Mobbing gegen euch. Dementsprechend ist das Niveau ihrer eigenen Beiträge auf einem sehr niedrigen Level angesiedelt. Passt auf, die ist wirklich bösartig.
    (Per privater Mail gerne mehr Infos)

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